Trugschluss
bleiben«,
knurrte Häberle einigermaßen enttäuscht. Er ging nochmals ins Wohnzimmer, wo in
der Regalwand das Mobilteil eines Telefons lag. Um keine Spuren zu
hinterlassen, griff er es mit seinem Taschentuch. Er drückte die Wahltaste –
doch es ertönte kein Freizeichen. Und soweit er die Technik überblickte, waren
auch sämtliche Speicher gelöscht. Keine Adressen, keine Anrufe. »Da hat einer
gründlich aufgeräumt«, meinte er und legte das Gerät wieder zurück. Brobeil
verharrte noch immer an der Tür. »Und was hat das nun zu bedeuten?«, fragte er
mit gedämpfter Stimme.
»Dass schon wieder jemand verschwunden ist«,
erwiderte Häberle lapidar. »Und zwar im wahrsten Sinne des Wortes spurlos.«
Der Theologe zuckte zusammen. Draußen auf
dem Flur waren Schritte. Durch die nur leicht angelegte Tür hatte er es
deutlich gehört. »Da ist jemand«, flüsterte er dem Kommissar zu, der sofort
heran schlich und lauschte. Er überlegte eine halbe Sekunde und entschied, in
die Offensive zu gehen. Häberle gab Brobeil mit einer Kopfbewegung zu
verstehen, dass er zur Seite gehen solle, dann öffnete er langsam die
Wohnungstür. Vier Schritte entfernt, fast schon am Etagen-Absatz des
Treppenhauses, drehte sich ein Mann weg, vermutlich mittleren Alters. Häberle
hatte das Gesicht nur kurz gesehen. Zwei Dinge waren ihm aufgefallen: Dass es
sportlich braungebrannt war und dass der Mann vermutlich eine Brille trug, eine
dezente. Noch bevor der Kommissar sich weitere Details einprägen konnte, war
der Mann ums Eck verschwunden. Seine Schritte hallten auf der Steintreppe
abwärts.
»Wer war das?«, flüsterte Brobeil und kam
nun auch auf den Flur heraus.
Häberle zuckte mit den Schultern und
wischte mit dem Taschentuch die Türklinken ab, die er berührt hatte. »Vielleicht
ein Wohnungsnachbar – was weiß ich. Jedenfalls will er mit uns nicht reden.«
Es war herrlich warm. Die Sonne schickte ihre Strahlen in die
schmale Gasse, die sich entlang des Terrassenhauses den Monte Bré
hinaufschlängelte.
»Und jetzt?«, fragte Brobeil einigermaßen
hilflos und wischte sich die Haare aus dem Gesicht.
»Sie wissen, wo diese komische Firma ist?«,
wollte der Kommissar wissen. Dann aber sah er den Zettel, der hinter dem
Beifahrer-Scheibenwischer des Polos klemmte.
Auch Brobeil hatte ihn bemerkt und war
empört: »Gucken Sie sich das an – kaum ein paar Minuten da und schon ein
Strafzettel«, empörte er sich. Häberle zog unterdessen das weiße Blatt Papier
unter dem Wischer hervor. Während Brobeil hinters Steuer saß, las der
Kriminalist den kurzen, handgeschriebenen Text.
»Falsch gedacht«, kommentierte er und
zwängte sich auf den Beifahrersitz. »Hier …« Er hielt den Zettel seinem
Mitstreiter vors Gesicht. »Da will also doch einer mit uns reden.«
Brobeil las, was da in Druckbuchstaben
offenbar schnell hingekritzelt worden war: »Wichtig: Funicolare Monte Bré –
jetzt.«
»Was hat das zu bedeuten?«, war der Theologe
irritiert. Häberle zuckte mit den Schultern und entschied: »Schauen wir’s uns
an. Ist ja gleich da unten.«
Brobeil startete den Motor und ließ den
roten Polo über die steilen Gassen bergabwärts rollen. Unten im ebenen Bereich
des Stadtteils Cassarate war es nicht einfach, einen Parkplatz zu finden. Der
Theologe entschied, einen Strafzettel in Kauf zu nehmen. Er stellte den Wagen
bei einem Autohaus ab. Von hier aus waren es zwei Querstraßen bis zu jenem
tristen Gebäude, das Ausgangspunkt für die Standseilbahn war. Als die beiden
Männer dort die Steinstufen hinaufstiegen, die von der Straße zum
höhergelegenen Bahnsteig führten, blickten sie sich aufmerksam um. Doch da war
niemand – keine Touristen und auch keine Einheimischen, die mit der nächsten
Kabine fahren wollten. Für einen kurzen Moment überkam Häberle das eigenartige
Gefühl, sie könnten in einen Hinterhalt gelockt werden. Sein Blick fiel auf die
Mechanik dieser Anlage – auf das Drahtseil, das in Führungsrollen zwischen den
Schienen verlief, auf Zahnräder und große Schalter mit roten und grünen
Kontrollleuchten. Alles versprühte den Charme des frühen 20. Jahrhunderts. Hier
musste es ein Leichtes sein, mit ein paar geübten Griffen folgenschwere Schäden
anzurichten. Brobeil schien ähnliches zu denken. Der Kriminalist jedoch
verdrängte den Gedanken, schließlich befanden sie sich in der Schweiz und da
würde die Technik entsprechend gewartet und überwacht, überlegte er. Sie waren
ja in keiner
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