Trugschluss
sanften Hügel, der Lugano im Westen
von dem jenseitigen Teil des Sees trennt, der sich um den Bergrücken des San
Salvatores herumzieht. Dort, in Agno, wo sich auch der Flughafen befand, hatte
Armstrong mit seinem Team ein altes Bürogebäude gemietet und ein
Computer-Center eingerichtet. Am Türschild firmierte es als
›Software-Engeneering-Company‹. Die beiden Obergeschosse, das hatte Vollmer
rasch herausbekommen, wurden allerdings gar nicht benutzt. Offenbar sollte mit
den weitmaschigen Vorhängen, die an allen Fenstern angebracht waren, nur der
Anschein erweckt werden, als habe sich die Firma in allen Etagen
niedergelassen. In Wirklichkeit jedoch wurde nur im Untergeschoss gearbeitet.
Der junge Deutsche war mit einem
Computer-Netzwerk vertraut gemacht worden, bei dem es sich um eine Art
Abfallprodukt aus den Zeiten des Kalten Krieges handelte. Damals hatten die
Amerikaner für ihr Starwar-Programm ein weltumspannendes Datennetz geschaffen
und eine Vielzahl von Computern, Funk- und Navigationsanlagen miteinander
verbunden. Ein Teil davon war später der zivilen Nutzung freigegeben worden –
woraus das Internet entstanden ist.
Einen anderen Bereich hingegen hatten die
Amerikaner im Interesse ihrer eigenen nationalen Sicherheit beibehalten und
weiter ausgebaut.
Eine Äußerung Armstrongs, die dieser
einmal vor den zwei Dutzend Mitarbeitern, alles junge, begabte Männer und
Frauen und überwiegend US-Amerikaner, getan hatte, ging Vollmer allerdings
nicht mehr aus dem Sinn: »Glauben Sie mir, junge Freunde, die wahren Kriege
werden künftig nicht mehr mit Panzern und Raketen geführt, sondern am Laptop.
Wer dann nicht in der Lage ist, sich dagegen zu wehren, hat verloren.«
Schon von Anfang an war Vollmer klar
gewesen, dass es sich bei dem Projekt, für das man ihn, warum auch immer, so
eisern auserkoren hatte, um keine gewöhnliche Ingenieursaufgabe handeln würde.
Bereits in den ersten Gesprächen mit Claudia hatte er herausgehört, dass seine
Aufgabe nicht nur aus der Pflege von irgendwelchen Software-Programmen bestehen
würde.
Zunächst jedoch waren sie damit befasst,
mehrere hundert Funkstationen, die über ganz Europa verteilt waren, über
Satelliten und aufwendige Codes mit ihrem Computernetz zu verknüpfen.
Die Daten durften weder über lokale, noch
über zivile Kabelnetze oder Frequenzen ausgetauscht werden. Ganz wichtig war
auch, dass sämtliche Verbindungen mit besonderen Kennungen und einer
Trägerfrequenz versehen waren, die Vollmer bis dahin nicht gekannt hatte.
»Das schützt gegen Angriffe von außen«,
hatte Armstrong argumentiert. Dessen engster wissenschaftlicher Mitarbeiter,
ein wesentlich jüngerer Mann, der eine schwarzumrandete Brille und meist ein
Goldkettchen um den Hals trug, war in den vergangenen Monaten einige Male mit
Vollmer essen gewesen – in einem italienischen Ristorante drüben in Lugano.
Dort hatten sie nicht nur über Computer geredet, sondern auch mit jungen
Touristinnen herumgealbert und einige sogar regelmäßig wieder getroffen.
Vollmer jedoch hielt sich zurück, denn da gab es ja Claudia, zu der sich eine
tiefe emotionale und erotische Beziehung aufgebaut hatte.
Sein Kollege mit der schwarzen Hornbrille
war Joe Clearwood, stammte aus Kalifornien, sprach aber astreines Deutsch mit
leichtem Schweizer Akzent. Dieser junge Mann war Armstrongs engster Mitarbeiter
und hatte sich offenbar im kalifornischen Hightech-Zentrum Silicon-Valley erste
erfolgreiche Sporen verdient.
Vor einigen Wochen waren Vollmer, Claudia
und Joe zusammen mit Armstrong in einem kleinen Restaurant im Künstlerdörfchen
Morcote gewesen, drüben an der südwestlichen Ecke des Luganer Sees. Und dort
hatte sich Joe, der eher zurückhaltende Mann mit dem schwarzen Stoppelhaar, in
die Tochter der freundlichen Wirtsleute verknallt. Das Mädchen, so stellte sich
heraus, half an den Wochenenden im Lokal und studierte ansonsten in Genf Jura.
Es trug die langen schwarzen Haare zu einem Pferdeschwanz gebunden.
Vollmer, Claudia und Joe waren seither an
den Wochenenden regelmäßig über das enge Ufer-Sträßchen, das an den Steilhang
des San Salvadores gezwängt ist, von Lugano über Paradiso und Melide nach
Morcote hinüber gefahren. Manchmal war Joe auch allein gefahren, mit seiner
schweren Honda, einem Motorrad, das sein ganzer Stolz war.
In dem Lokal verbrachten sie viele Abende,
saßen auf der See-Terrasse und redeten über Gott und die Welt. Vollmer gefiel
das Leben im Tessin zunehmend, zumal er
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