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Trugschluss

Trugschluss

Titel: Trugschluss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Bomm
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Zuschauer, die Zahlen der Digitalanzeige laut mitzuzählen. Noch bevor die
Null erreicht war, stoben da draußen hinter den Sümpfen plötzlich weiße
Dampfwolken. Augenblicklich wurde der Fuß des Startturms von ihnen eingehüllt.
Langsam, unendlich langsam, wie es schien, hob sich das schneeweiße Gefährt mit
dem braunen Zusatztank, gewann dann aber sofort enorm an Geschwindigkeit, von
einer langen, blendend-hellen Feuersbrunst nach oben gedrückt. 2040 Tonnen
stiegen in den Himmel. Noch war keine Schallwelle von da draußen
herübergekommen. Und doch entfesselten die Triebwerke und Raketen bereits ihre
ganze Kraft.
    »My God« – ein Mann auf der
Zuschauer-Tribüne ließ seinen Gefühlen freien Lauf. »My God«, entfuhr es ihm,
immer wieder, fassungslos, fasziniert und staunend. Wie ihm, erging es auch all
den anderen und man konnte diesen Ausruf des Erstaunens in vielen Sprachen
hören. Alle Blicke waren auf den gleißend-hellen Feuerschweif gerichtet. Über
den Sümpfen entfesselten sich in diesen Sekunden Kräfte, die an Urgewalten
erinnerten. Auf einer mächtigen Wolke aus Dampf und Abgasen stieg das
Spaceshuttle in den blauen Himmel. Jetzt erst traf auch der Schall ein. Dumpfes
Dröhnen, einem Donnergrollen gleich, dann das Knattern der Raketenmotoren als
würden Feuerwerkskörper abgebrannt.
    Die Zuschauer spürten die tiefen Schallwellen
auf der Brust. Ein Vibrieren und Zittern lag in der Luft.
    Das Paar, das in der obersten Reihe der
Tribüne mit zusammengekniffenen Augen und schwarzen Sonnenbrillen über die
Sumpflandschaft blickte, stimmte nicht in den allgemeinen Jubel ein. Emotionslos
verfolgten die beiden, welche Energien da draußen über den Sümpfen tobten. Der
Mann, gerade 40, schlank und athletisch, wischte sich den Schweiß von der
Stirn, in die das volle, korrekt gescheitelte schwarze Haar hing.
    Die ›Endeavour‹, die vor ihnen von einem
Feuerschweif in den Himmel getrieben wurde, hatte das einzige dünne Wölkchen
durchstoßen, das an diesem herrlichen Frühlingsnachmittag über dem Cape
schwebte. Den Zuschauern stockte der Atem einen Herzschlag lang. Die Wolke
leuchtete auf, als sei das Shuttle in ihr explodiert.
    Doch das Paar ganz oben auf der
Zuschauer-Tribüne blieb auch jetzt gelassen. Die junge Begleiterin des
40-jährigen verfolgte so kühl das Geschehen, als handle es sich um den
routinemäßigen Start eines Flugzeugs. Ihr Gesicht war blass und von einer
großen Sonnenbrille bedeckt. Das dunkelbraune, schulterlange Haar strich an den
Wangen entlang. Sie trug eine helle ärmellose Bluse und Jeans. Der Mann an
ihrer Seite, ebenfalls sportlich mit Jeans und hellem Hemd bekleidet, ließ für
einen kurzen Moment Emotionen erkennen: »Super, bilderbuchmäßig«, sagte er, wie
zu sich selbst und behielt das weißglänzende Raumfahrzeug im Blick. Um sie
herum waren die Zuschauer fasziniert. Sie klatschten, riefen, zeigten
enthusiastisch mit gestreckten Armen nach links oben, wo das Shuttle immer
schneller und kleiner wurde, eine weiße Kondensspur hinter sich lassend.
    Die Zuschauer waren in der Gewissheit
hierher gekommen, ein kleines Stück Weltraumgeschichte hautnah zu erleben. Wer
auf dieser Tribüne saß, hatte gute Beziehungen zur Europäischen
Raumfahrtbehörde ESA, die an diesem Tag ihren ersten Astronauten zur
Internationalen Raumstation ISS schickte und deshalb ein kleines Kontingent
Platzkarten hatte vergeben dürfen. Dazwischen befanden sich aber auch Personen,
die in irgendeiner Weise mit weltraumwissenschaftlichen Instituten
zusammenarbeiteten.
    Denn der Aufbau der internationalen
Raumstation lief in diesen Monaten auf Hochtouren. Eine solide Plattform für
künftige Expeditionen und Forschungen sollte es werden. Das Projekt würde
dokumentieren, dass Weltraum-Forschung ein Anliegen der gesamten Menschheit
sein musste.
    Diesmal war mit Umberto Guidoni ein
Italiener an Bord. Die italienische Weltraumorganisation »Agenzia Spaziale
Italiana« (ASI) hatte diesen Erfolg am Vorabend des Starts ausgiebig gewürdigt
und gefeiert. Auch das Paar von der hintersten Zuschauer-Reihe war bei den
Empfängen dabei gewesen – im ›Eau Gallie Yacht Club‹ am Indian Harbour Beach.
Alles was in Europa bei der Weltraum-Forschung Rang und Namen hatte, gab sich
ein Stelldichein, darunter Dr. Ernst Messerschmid, Chef des europäischen
Astronauten-Zentrums in Köln-Porz, und selbst Wissenschaftsastronaut. Er
schwärmte davon, wie sich mit der ISS nie gekannte Chancen auftun würden: Unter
dem

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