Trugschluss
Mensch
werde sich ein Leben lang daran entsinnen können, wo er sich befand, als ihn
diese Schreckensnachrichten erreicht haben.
Und Jahre später werden Berichte die Runde
machen, im Internet und in Büchern verbreitet, welche Merkwürdigkeiten sich an
diesem Tag ereignet haben – zufällige oder gesteuerte, wenn nicht Spekulationen
dazu reine Erfindungen oder böswillige Unterstellungen waren, von wem auch
immer wofür angezettelt. Wie regelmäßig dann, wenn sich Katastrophen ereignet
haben, wird hinterher in vorausgegangene Ereignisse oder in den Ablauf des
Geschehens vieles hinein interpretiert und manchmal auch bezweifelt, was die
Behörden offiziell verlautbaren.
Für die Forschungsgruppe in Lugano war die
Nachricht wie ein persönlicher Schlag. Die jungen Leute gruppierten sich im
Aufenthaltsraum um ein Fernsehgerät, auf dessen Bildschirm sie gesehen hatten,
wie der zweite Turm des World-Trade-Centers in sich zusammenbrach. Atemlos
verfolgten sie in der Dauer-Nachrichtensendung, was sich zu dieser Sekunde in
New York abspielte. Vollmer legte den Arm um Claudias Schulter. Er spürte, wie
sie zitterte.
16
Knapp drei Monate später, am Dienstag, 4. Dezember 2001, in
Dubai am Persischen Golf.
Das Hotel ›Jumeirah-Beach‹, einer riesigen Brandungswelle
nachempfunden, war eine architektonische Meisterleistung – auch wenn es
gewissermaßen im Schatten des 321 Meter hohen ›Burj Al Arab‹, dem ›Arabian
Tower‹ stand, jenem Hotel-Giganten, der sich hier in Dubai auf einer
künstlichen Insel am Ufer des Persischen Golfes wie das überdimensionale Segel
eines Schiffs in den blauen Himmel reckte, höher als der Eiffelturm. Die
parkähnlichen Gartenanlagen, mit Pools und Bars, gingen fast nahtlos ineinander
über, wenngleich der Zutritt zum nahen Tower, der auf den Tag genau vor einem
Jahr eröffnet wurde, bewacht war. Auch das ›Jumeirah-Beach‹ bot dem normalen
Gast einen Einblick in den grenzenlosen Luxus, mit dem die westlich
orientierten Emirate am Golf zu beeindrucken wissen. Allein das Foyer dieses
Hotels lässt den Atem vor einer architektonischen Meisterleistung stocken. Der
Blick geht im Innenraum senkrecht, mehr als zwanzig Stockwerke, nach oben.
Statt langer Flure gibt es balkonähnliche Umläufe, von denen aus die Zimmer in
allen Etagen zu erreichen sind – eines der vielen Symbole, die zeigen sollen:
Schaut her, hier wird geprotzt. Das Öl hat in diesem Wüstenstaat paradiesische
Nischen geschaffen. Geld spielt keine Rolle. Palmen-Alleen entlang der Straßen
werden über ein kompliziertes Schlauchsystem meilenweit in die Wüste hinaus
automatisch bewässert; ein Golfplatz wird in sengender Hitze aufgepäppelt.
Niemand spricht von Wasserknappheit.
In den Foyers der Hotels werden, als seien
es exklusive Ausstellungsräume, chromblitzende Luxuslimousinen aller großen
Nobelmarken-Hersteller präsentiert. Da könne es durchaus vorkommen, weiß ein
Hotel-Manager zu berichten, dass ein Gast im Vorübergehen einen solchen Wagen
kaufe. Zahlungskräftige Kundschaft aus den Herrscherhäusern, denen für Geld
alles machbar erscheint, ist hier eben gerne gesehen.
In einem der vielen internationalen
Restaurants, die in den Komplex des ›Jumeirah-Beach‹-Hotels, weit außerhalb
Dubais integriert sind, haben an diesem Abend drei Männer und eine Frau einen
Tisch reserviert.
Es war ein
österreichisches Lokal – was den Gästen aus Europa entgegenkam. Der 40-jährige
schwarzhaarige Mann und seine junge Begleiterin, deren dunkelbraunes Haar bis
über die Schultern reichte, hatten dies mit Freude zur Kenntnis genommen, auch
wenn das eher alpenländische Ambiente nicht so recht in die Landschaft passen wollte. Ihre Gastgeber, zwei ältere
dunkelhäutige Herren mit schwarzen Haaren und Schnauzbärten, beide leicht
übergewichtig und trotz Klima-Anlage schwitzend, versuchten ihnen arabische
Spezialitäten schmackhaft zu machen, die ebenfalls auf der Speisekarte standen.
Der 40-jährige Mitteleuropäer lehnte dankend
ab. Ihm war es nach einem Schnitzel und einem Bier. Seiner Begleiterin auch.
Als sie bei
einer österreichischen Bedienung ihre Bestellungen aufgegeben hatten, ergriff
einer der beiden Gastgeber offiziell das Wort: »Wir freuen uns sehr, Mrs.
Lilienthal und Mr. Braunstein, dass Sie so schnell den Weg zu uns gefunden
haben«, sagte der Ältere der beiden mit unverkennbar arabischem Akzent, »das
ist uns eine große Ehre.« Er wurde Abdul genannt.
Der Mitteleuropäer kannte diese
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