Trust Me - Blutiges Grauen
wohl vorstellen. “Wann?”
“Kurz nach Tagesanbruch.”
“Brauchst du Unterstützung, Jaz? Soll ich dich abholen?”
“Nein, ich kann fahren. Ich möchte meinen Wagen nicht dort lassen. Außerdem machen wir das doch schon ziemlich lange, oder? Langsam gewöhne ich mich an das Schlimmste. Was mich am meisten fertig macht und worüber ich nie hinwegkommen werde, ist diese Sinnlosigkeit.
Warum
? Warum muss jemand einem Kind
so etwas
antun?”
“Das ist die uralte Frage”, sagte Skye. “Wisst ihr, wer es war?”
“Noch nicht, aber ich habe ein Profil erstellt. Der Rest liegt jetzt in den Händen des FBI und der örtlichen Polizei. Ich kann genauso gut wieder abfahren. Es gibt jede Menge Arbeit für mich.”
“Das kann warten, wenn du noch Zeit brauchst.”
“Es kann nicht warten. Alle Fälle sind so … kritisch.”
Und deshalb schlauchte die Arbeit bei
The Last Stand
dermaßen. Es war immer wieder erschütternd, aufregend, aber auch lohnend und dankbar. Das emotionale Pendel schlug weit aus. “Vielleicht solltest du eine Pause einlegen.”
“Ich möchte mich lieber ablenken.” Wieder entstand ein kurzes Schweigen, bis Jasmine sich wieder gefasst hatte. “Ich rufe dich an, wenn ich wieder da bin.”
“Okay, tu das.”
“Bis bald.”
Jasmine legte auf, und Skye blieb an ihrem Schreibtisch sitzen und starrte die Wand an. Dort hingen mehrere Fotos von bekannten Serienmördern – Ted Bundy, Son of Sam, Leonard Lake. Sie sahen alle so normal aus. Genau deshalb hatte sie die Bilder aufgehängt: Um sich daran zu erinnern, dass diese Monster rein äußerlich einen ganz harmlosen Eindruck machten.
Sie griff in ihre Schublade und holte ein weiteres Foto heraus. Sie hatte es nicht über sich gebracht, es auch an ihrer Wand zu befestigen. Ein Reporter hatte es einem Verwandten von Burke abgeschwatzt und einen Tag nach der Gerichtsverhandlung veröffentlicht. Es zeigte ihn als Zehnjährigen, sauber und ordentlich gekämmt in einem Anzug und mit Krawatte. Er war für sein Alter ziemlich klein, ein süßer Junge. Deshalb hatte Skye das Foto aus der Zeitung herausgeschnitten. Mehr als bei den anderen erinnerte es sie daran, dass die Täter aus allen Reihen kamen. Sogar aus kleinen Jungen mit anständigen Eltern konnten gewissenlose Kriminelle werden, die jeden vernichteten, der ihnen nicht passte.
“Du wirst am Ende nicht gewinnen”, flüsterte sie, während sie das grobkörnige Foto des Jungen betrachtete. Doch als sie zum Kalender blickte, überlief sie ein kalter Schauder.
Es war Mittwochnachmittag. Burke wurde am Freitag entlassen.
Oliver lag in seiner Schlafkoje und starrte an die Decke, während sein Zellnachbar unter ihm schnarchte. Wie ein konstanter Klangteppich tönten die Schritte auf Betonboden, hin und wieder ein Stöhnen, mal leise, mal laute Gesprächsfetzen zu ihm herüber. Aber diese Geräusche, die Kälte und die zugige Luft, schwer von strengen Körpergerüchen, würden nicht mehr lange sein Leben bestimmen. Es war fast Donnerstag. Noch ein Tag, dann begann sein neues Leben – befreit aus den Tiefen der Hölle …
Er konnte es kaum fassen, dass dieses quälende Warten nun ein Ende haben sollte. Für den Rest der Zeit musste er sich nur von Victor fernhalten. Jetzt, wo es nicht mehr lange dauerte, glaubte Oliver, das auch zu schaffen. Bis Freitag früh würde er einfach in seiner Zelle bleiben. Dann holte ihn Jane ab, und weg war er.
Victor konnte ihm gestohlen bleiben. Er konnte ihm nichts antun.
Oliver schloss die Augen und stellte sich vor, wie seine Frau ihn freudig begrüßte. Drei Jahre auf einen Mann zu warten, war eine sehr lange Zeit. Aber Jane war auch eine unglaubliche Frau. Skye hatte ihm so viel genommen, doch nicht seine Jane – oder seine Tochter Kate. Sie war gerade sieben geworden.
Oliver holte seine Taschenlampe vor – Gefangene, die nicht verhaltensauffällig wurden und so viel für die Gefängnisgemeinschaft taten wie er, durften sich besser ausstatten als die anderen. Er zog sich die Decke über den Kopf und las sich seine im Geheimcode verfassten Notizen durch. Inzwischen war er mit dem Code so vertraut, dass er den Schlüssel dafür nicht mehr brauchte. Er kannte ihn auswendig.
Sein Zellnachbar schnaufte und rollte sich zur Seite. “Verdammt noch mal, Ollie, schlaf jetzt. Was machst du denn da oben? Holst du dir schon wieder einen runter?”
Oliver achtete nicht auf ihn. Und wenn er sich einen hätte runterholen wollen, dann wäre das sein gutes
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