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Try hard to love me / Versuch doch, mich zu lieben (German Edition)

Try hard to love me / Versuch doch, mich zu lieben (German Edition)

Titel: Try hard to love me / Versuch doch, mich zu lieben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Subina Giuletti
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unserem Planeten.
    Ich lehnte mich zurück und fokussierte den Laptop. Ein letztes Zitat von ihm flackerte über den Bildschirm:
    „Man möchte von der Wahrheit berührt werden und diese Wahrheit deuten können, so dass man das, was man fühlt und erlebt, ob nun Verzweiflung oder Freude, nutzen kann, um dem eigenen Leben, und hoffentlich auch dem anderer Menschen, einen Sinn zu geben. Dies ist Kunst in ihrer höchsten Form. Für diese Momente der Erleuchtung will ich jetzt und in Zukunft leben.”
    Etwas platzte in mir. Ich schaltete den Rechner aus, löschte alles über ihn, was ich im Netz gesammelt hatte. Es gab nichts mehr zu erforschen oder zu tun. Endlich fühlte ich keinen Aufruhr mehr in mir. Es war alles klar.
    Nacht für Nacht ging ich an den Teich, beobachtete das Wasser. Und ich wusste: Das war die Konzentration vor dem Sturm.
    Ruhig und still setzte er sich in der fünften Nacht zu mir auf die Bank. Keiner von uns sagte etwas. Ich schloss die Augen und genoss diese so wunderbare Ausstrahlung von ihm. Immer noch hatte er sich das Unschuldige bewahrt, immer noch war da dieses Licht um ihn und angesichts der Kenntnisse, die ich nun hatte, erfasste mich eine Woge des Respekts, der Liebe und der Bewunderung für diesen feenhaften Mann, für seine so biegsame Stärke. Doch markanter als in der ersten Nacht mit ihm, erreichte mich der Antagonismus seiner Seele.
    Lange Zeit saßen wir einfach. Lange Zeit spürten wir die Schwingung unserer Existenzen und der Lebewesen um uns herum. Der Teich lag ruhig und blank wie ein Spiegel, keine Welle kräuselte die Fläche, keine sprudelnde Fontäne, die die Transparenz des Wassers zerstört hätte. Am Ufer konnten wir bis auf den Grund sehen. Der kleine See war still, genau wie wir.
    Und es war das Wasser, das uns anzog und uns die größten Weisheiten lehrte. Jeder Tropfen des Sees war so individuell und doch bildete alles eine Einheit. Wasser war so wandlungsfähig. Es war fest, flüssig und gasförmig. Unsichtbar, sichtbar, in uns und außerhalb von uns. Wasser war überall. Und ein großer Lehrmeister.
    Michael fror. Ich spürte, wie er neben mir erschauerte, als ein Windstoß wie eine Aufforderung durch die Bäume fuhr.
    Ich zog die Decke, auf der ich gesessen war, hervor, faltete sie auf und legte den körperwarmen Fleecestoff um Michaels hagere Schultern. Dankbar kuschelte er sich hinein und ich ließ, wie so oft, meinen Arm eine Weile auf ihm liegen, bis die Wärme ihn erreichte.
    „Gestern hatte ich einen Traum“, murmelte ich leise. Seine Augen waren wach und ernst und schön und so tief. Stumm forderten sie mich auf.
    Mit stockender Stimme erzählte ich ihm davon. Ich wusste noch jede Einzelheit und als ich endete, mit unserem bodenlosen Sturz, die Antwort in Form der Schriftrolle in Händen, fragte Michael:
    „Wir haben die Schriftrolle nicht geöffnet?“
    „Nein“, murmelte ich, „bis jetzt noch nicht.“
    Dann sah er mich an: „Kannst du sie öffnen?“
    „Zusammen mit dir. Ich denke, die Antwort ist für uns beide bestimmt.“
    Michael sah mich an und verstand. Stumm lehnte er sich zurück, zog die Knie hoch, wickelte sich fest in seine Decke und schloss die Augen. Diesmal war ich es, die erzählte.
    „ A n das, was ich mich aus meiner Kindheit am meisten erinnere, ist meine Mutter, die vor dem Spiegel steht und sich schminkt. Sie war sehr hübsch, sie hatte eine gute Stellung und sie war oft weg. Mein Vater war zu Hause und doch war er es nicht. Geistig war er immer woanders. Er hatte am Anfang einen Job und dann nicht mehr. Als meine Geschwister und ich noch klein waren – ich habe zwei Brüder, beide älter – taten meine Eltern so, als ob sie das ideale Paar wären. Aber irgendwo haben wir alle gespürt, dass dem nicht so war. Trotzdem war es lebensnotwendig für uns Kinder, daran zu glauben. Es ist das, was in vielen Ehen passiert: die Eltern spielen ein Spiel und die Kinder spüren die Maskerade. Sie wissen unterschwellig, was läuft. Aber die Eltern sagen ihnen permanent, es sei nicht wahr, was sie fühlen und irgendwann kommt der Switch: Kinder vertrauen ihrer inneren Wahrnehmung nicht mehr.
    Wir alle haben unsere Eltern als Vorbild, also fangen wir ebenfalls an, Maskerade zu spielen. Hören nicht mehr auf unser Inneres und glauben, was wir sehen, was man uns sagt. Wir lernen, dass es darum geht, was man im Außen erreicht, wie man in der Gesellschaft funktioniert...all das ganze Elend. Die meisten definieren sich über Leistung, Lob,

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