Try hard to love me / Versuch doch, mich zu lieben (German Edition)
selbstlos und ohne Dank zu erwarten, pausenlos Menschenleben rettete, erneut die Kehle zu. Diesmal mit einer so offensichtlichen Farce, die einem die Wangen vor Schamröte erbrennen ließ.
Er saß vor dem Fernseher. Er lief an den Titelblättern der Zeitungen vorbei. Michaels gequälte Augen verfolgten ihn. Überall.
Schließlich traf er einen Entschluss. Er war zehn Jahre älter, seine Position nicht mehr die Gleiche. Gerade deswegen wollte er seinen Job nicht verlieren. Und ohne diesen Job würde er auch niemandem etwas nützen. Vielleicht gab es ja andere Möglichkeiten.
Sky kaufte sich ein Kartenhandy und beantragte unter einem Pseudonym eine Nummer. Sobald der Anschluss freigeschaltet war, griff er zum Hörer.
***
„Steht doch in jeder Zeitung – er ist nicht da. Er ist in Bahrain.”
„Ich weiß. Aber vielleicht...können Sie ihm sagen...dass ich mich freuen würde, wenn er zurückruft. Sagen Sie ihm, meinem Kind geht es gut – weil es ihn gibt. Er hat ihr damals das Leben gerettet...Sagen Sie ihm, dass wir das nie vergessen haben...“
„He, Mann, was wollen Sie eigentlich?“
Sky holte tief Luft. „Bitte lassen Sie ihn wissen, dass er, wenn er jemals Hilfe brauchen sollte, auf mich zählen kann...dass ich etwas für ihn tun kann...“
Am anderen Ende der Leitung war es für kurze Zeit still.
„Wer sind Sie?“
„Sagen Sie ihm Grüße von Shiny. Michael soll mich anrufen, wenn er mich braucht.”
Das war vor eineinhalb Jahren gewesen. Michael hatte sich nie gemeldet. Trotzdem hatte Sky die Nummer nicht storniert und das Telefon lag vergessen in der Schublade seines Nachttisches.
***
Das Wissen um Michaels Schicksal ließ mich schlecht schlafen. Er aber lebte in diesem Schicksal. Er lebte unter ständigen Erpressungen, unter Intriganten und Haifischen, und mit dem Wissen einer alles steuernden Bedrohung. Ich spürte, wie Gedanken mich überrollten, wie sie anfingen, überhand zu nehmen, sich nicht mehr abschalten ließen und ich wehrte mich dagegen. Mühsam versuchte ich zu der Lebenseinstellung zurück zu rudern, die ich vor meiner Ankunft hier gehabt hatte. Und in diesem Bemühen überfiel mich eine tiefe Sehnsucht nach Neverland, nach Michaels hehrer Vision, nach seiner heilen Welt als Pendant zu diesem Übel, das ihn umgab. Aber diese Welt, Neverland, war lange nicht mehr die seine, sie war längst von Captain Hook geentert und dem Zerfall preisgegeben. Doch überkam mich ein unmäßiges Verlangen, nach dieser gedachten Oase des Friedens und des Glücks. Und ich erkannte, dass auch ihm genau diese Gefühle zugrunde gelegen waren: Dieser kopf- und businessgesteuerten Welt zu entfliehen und einen Gegenpol zu setzen.
Bevor ich wieder nach Deutschland reiste, versprach ich mir, wollte ich noch einmal Neverland besuchen.
Tage vergingen und es war mir unmöglich, mit Michael zu reden. Es war mir unmöglich, in meinen Büchern zu lesen. Ab und zu nahm ich sie in die Hand, um sie dann wieder mutlos wegzulegen. Einzelne Gedanken kreisten im Kopf, Ansätze kamen auf. Aber letztendlich wirbelte alles konfus umher: die philosophischen Lehren, sein Schicksal, seine immensen Bedrohungen, seine Todesangst, die Angst um seine Kinder, der Frust, trotz oder gerade wegen all dieser göttlichen Begabungen, trotz all seines Reichtums, kein Glück zu finden.
Ich dachte darüber nach, dass ihn alle als verrückt ansahen, dass sie ihm nicht glaubten, wenn er sagte, er würde bedroht werden. Niemand glaubte ihm etwas. Sie nahmen ihm die Weißfleckenkrankheit nicht ab, nicht seine echte Liebe zu Lisa und auch nicht, dass Paris auf natürliche Weise gezeugt worden war. Es war alles so perfekt, schoss es mir durch den Kopf. Seit Jahrzehnten machten die Medien klar, dass er nicht richtig tickte und dass er aufgrund seiner Eskapaden, der Medikamente, der fehlenden Therapien paranoid war. Wer glaubte schon so jemandem? War das nicht die beste Tarnung, die man haben konnte? Das Teuflische daran war, dass er tatsächlich in den Wahnsinn getrieben wurde, so dass am Ende stimmte, was ‚sie’ sagten. Wer immer ‚sie’ waren. Nur die Kausalität war diametral, was dann keine Rolle mehr spielte zuviel geschluckt, zuviel gelitten, dem Größenwahn verfallen, krank, erfolglos. Eine logische Erklärung. Für alle möglichen Ausgänge.
In der Nacht träumte ich heftig. Ich träumte, Michael und ich wären in einem Zimmer voller Folterinstrumente und grauenhaften Kreaturen eingeschlossen, die uns töten wollten.
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