Try hard to love me / Versuch doch, mich zu lieben (German Edition)
komplizierter geworden war. Lange Zeit sagte er nichts. Saß neben mir mit einem Mix an Gefühlen. Ich spürte, wie groß seine Angst war, sich zu öffnen. Wie oft hatte er das wohl schon getan und war auf die Schnauze gefallen? Gleichwohl spürte ich sein dringendes Bedürfnis, reden zu können und wusste nicht, was ich tun sollte, um ihn zu überzeugen, dass ich sein Vertrauen nicht missbrauchen würde. Das Dumme war, dass ich lediglich einen Grundriss über sein Leben hatte – in der kurzen Zeit war es unmöglich gewesen, sich in Details einzulesen. Ich hatte keine Ahnung, nicht den Nanobruchteil einer Ahnung, mit welchen Problemen er sich in dieser Nacht herumschlug und wie groß sein Dilemma war. Aber was zu mir herüber drang, war pure Qual, die zu lindern ich bestrebt war. So sanft ich konnte, sagte ich:
„Du bist sehr mutig, dass du dieses Leben gewählt hast, glaub mir.“
Er wandte sich ab. Seine Arme lagen angewinkelt auf seinen Knien, er hatte die Hände ineinander verkrampft und rieb mit den Knöcheln heftig sein Kinn.
„Gewählt…“, murmelte er. „Hätte ich dieses Leben gewählt? Wenn ich gekonnt hätte? Vielleicht will ich es gar nicht mehr, nicht so, nicht dieses... ich ertrage es für die Kinder... für meine Kinder... und die Kinder dieser Welt... und wenn du es genau wissen willst... für mich war alles bisher eine Prüfung, das war der einzige Gedanke, der mich aufrechterhalten hat. Ich halte es aus für all diejenigen, die ihre Magie nicht verloren haben... für all diejenigen, die an Liebe glauben und ... “
„...die dich lieben“, vervollständigte ich leise den Satz.
„Mich lieben…“, wiederholte er und zum ersten Mal hörte ich Verbitterung in seiner Stimme.
„Michael“, begann ich, in dem Bedürfnis, ihm Trost zu spenden, aber er unterbrach mich:
„Mich lieben... lieben mich die Menschen? Sie verachten mich. Sie meiden mich.“ er spuckte die Sätze aus wie einen ekligen Klumpen Schleim.
Betroffen sah ich ihn an. Hatten ihm diese Geschehnisse wirklich allen Glauben an sich genommen? Ich meine, es wäre für jeden von uns die Hölle gewesen, für jemanden wie ihn, der so sensibel war, und angesichts der Tatsache, dass er ein Leben in einer Truman-Show führte, musste sich die Wirkung verhundertfacht haben.
„Millionen Menschen lieben dich“, widersprach ich, „deine Kinder lieben dich. Alle, die dich wirklich kennen, lieben dich. Deine Fans...ich weiß nicht, Michael, für mich bist du einer der meist geliebten Menschen auf der Welt. Bist du jetzt der Fisch, der durstig ist? Ausgerechnet du? Zumal doch die Liebe so aus dir heraus leuchtet?“
Seine fast schwarzen Augen ruhten auf mir. Nachdenklich strich er mit seiner großen Hand über sein schmales Bein. „Weißt du, Chirelle“, sagte er leise. „Ich liebe meine Fans. Ich bin ihnen zutiefst dankbar. Ich versuche immer die Liebe zu leben, egal, wie dreckig es mir geht…ich…egal, wie die Menschen mich behandeln, egal, was sie über mich schreiben…“ Er verstummte.
„Menschen“, hub er dann wieder an „sind immer bereit, aus etwas Gutem etwas Schlechtes zu machen. Sie sind…“ und er verwendete das Wort, das er in mehreren Interviews schon benutzt hatte, „engl. ‚ignorant’ – unwissend.” Es klang wie: Herr, vergib ihnen…denn sie wissen nicht, was sie tun.
Szenen besagter Interviews schossen mir durch den Kopf. Michael war nie ausfällig geworden, egal, wie aggressiv die Journalisten ihn attackiert hatten. Selbst der Polizei gegenüber, die ihn mit Wonne getriezt haben musste, als sie ihn inhaftiert hatten, war er höflich geblieben, keine Aggression, nichts - obwohl es ihm erkennbar miserabel gegangen war. Er hielt sich sogar zurück, Negatives über diejenigen zu sagen, die ihm übel mitgespielt, die sein Leben zur Hölle gemacht hatten. Ich erinnerte mich, wie er in einem Interview erwähnt hatte, Jesus nachahmen zu wollen, so gut sein zu wollen wie Jesus und zu geben wie Jesus. Ich hoffte nur, dass er sich nicht unbewusst auch vorgenommen hatte, zu leiden wie Jesus. Aber im Moment tat er genau das: Er litt.
Ich weiß nicht, an was er in diesem Moment dachte, aber sein Schmerz schoss hoch wie eine Fontäne und ich zuckte erschrocken zusammen.
Verkrampft hielt er die Hände vor die Augen, zurückgeworfen in quälende Erinnerungen, und versuchte, die aufsteigenden Tränen zurück zu beißen. Am liebsten hätte ich ihn in den Arm genommen, aber wir trafen uns gerade zum zweiten Mal. Wie
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