Try hard to love me / Versuch doch, mich zu lieben (German Edition)
würde er auf eine solche Berührung reagieren?
Dann war es mir egal. Ich rückte ein bisschen näher und legte vorsichtig meinen Arm um seinen mageren Körper. Michael war weich, oh Gott, wie weich er war, wie anschmiegsam, wie ein Baby! Ein Baby, das beschützt werden will – und das ich beschützen wollte. Meine Muttergefühle brachen auf und ich drückte ihn sanft an mich. Einen Augenblick lang gab er sich der Berührung hin, einen kostbaren Moment lang ließ er sich halten und ich fühlte, dass dies ungewohnt für ihn war. Dass er es gewohnt war, Stärke zu zeigen. Nach kurzer Zeit schon schob er sich weg und wischte sich die Augen.
„Es tut mir leid“, sagte er.
„Was denn?“ fragte ich leise. „Die Berührung? Ich hoffe, es ist nicht das, was du bedauerst.“
„Nein“, antwortete er und lächelte, leicht reserviert. Ich schwieg.
„Nachts ist es immer so still“, sagte er dann, „da fallen Inspirationen wie Regen vom Himmel. Man muss nur den Sternen zuhören und dem Wind und …“
Er verstummte erneut und ich wagte einen Blick zu ihm. Er hatte die Augen geschlossen und schien etwas Schönes zu erleben. Vielleicht die Melodie für einen neuen Song, empfangen über Frequenzen, die nur er wahrnehmen konnte, weil ein Teil von ihm so offen war und bereit, diese Botschaften zu empfangen. Von einer Sekunde auf die andere war er wieder in seinen lichten Part gefallen und verharrte darin. Es war traumhaft, sich mit ihm darin zu versenken.
Still saßen wir auf unserer Bank, bis es anfing zu dämmern. Leise nahm ich das noch immer nicht leere Weinglas.
„Ich glaube, ich gehe jetzt mal. Danke für deine Gesellschaft, Michael …ich…“
„Warte, applehead“, sagte er, „ich komme mit“, und stand ebenfalls auf. Gemeinsam schlenderten wir zum Haus zurück. Linda hatte mich darauf vorbereitet, dass er Leute oft mit ‚applehead’ anredete.
„Sag mal, was machst du eigentlich hier?“, fragte er mich dann plötzlich und blieb stehen. „Du kannst noch nicht lange hier sein. Hat Linda dich eingestellt?“
„Ja, sie hat mich im Supermarkt aufgegabelt!“, grinste ich. „Linda hat mir äußerst überzeugend klargemacht, dass die Vollwertkost der Jacksonkinder wichtiger ist, als ein Trip durch die USA und so bin ich erst mal hier.“
„Ach, dir haben wir all diese Köstlichkeiten zu verdanken?“, schmunzelte er. „Ich liebe deine Müslimuffins! Die mit den Nüssen und Rosinen!“
„Sag bloß, du isst sie!? Ich meine, so richtig essen, oder hast du nur die Krümel aufgelesen, die deine Kinder auf dem Teller haben liegen lassen?“
Er grinste auf seine unvergleichliche Art: „Ich schwör dir, ich hab mal einen ganzen verputzt. Ganz allein! Alles aufgegessen!“
„Wow!“, sagte ich erschüttert. „Einen ganzen Muffin? Wie hat dein Bauch ausgesehen? Muffinförmig? Hast du die Hose noch zubekommen? Ich meine, man hat doch sicher die Muffinform durch die Bauchdecke erkannt, oder?“
Michael brach in lautes Gelächter aus und es klang so gelöst und locker und von Herzen kommend, als hätte es nie etwas Schmerzliches in seinem Leben gegeben. Mit einem Mal war er ein übermütiges, fröhliches, zu Streichen aufgelegtes Kind, voller Enthusiasmus, das das Leben als ein spannendes Abenteuer sah. Wenn Michael auf diese Art lachte, wenn sein Leid nicht mehr zu spüren war, hatte er die Energie eines Engels.
„Mach doch mal Pizzamuffins“, schlug er vor, „oder welche mit Kentucky fried chicken innendrin und Ketchup...oder mit...“
„Warte mal, meinst du das ernst?“ Verdattert schaute ich ihn an. „Ich dachte, du bist Vegetarier!“
„Manchmal“, sagte er vergnügt, „manchmal esse ich auch Gemüse...echt vegetarisch. Aber es geht nichts über eine heiße Pizza...und fast food. Ich liebe fastfood!“ Er lachte über meinen Gesichtsausdruck, bis ich mitkicherte und ungläubig mit dem Kopf schüttelte.
„Danke für die Zeit mit dir, Michael“, sagte ich warm. „Es ist wirklich schön, mit dir zu reden. Und zu schweigen.“
Er nickte und verabschiedete sich von mir. „Gute Nacht, deutsches Müslimädchen“, gluckerte er. Und mir entfuhr ein „Gute Nacht, amerikanischer Muffinvernichter “, was ihm ein weiteres Kichern entlockte.
Beschwingt drehte ich mich um und wollte in mein Zimmer.
„He, Chi!“, rief er mir nach und ging ein paar Schritte auf mich zu. In einem respektablen Abstand blieb er stehen. Ein schüchterner Mann, nach Worten ringend. Und mit dieser so unendlichen
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