Try hard to love me / Versuch doch, mich zu lieben (German Edition)
Weinglas hoch. „Ich kann nicht schlafen.”
„Ich auch nicht“, sagte er. „Ich kann oft nicht schlafen. Komm, setz dich zu mir.“
„Möchtest du nicht lieber alleine sein?“, fragte ich.
„Nein“, sagte er schnell. „Absolut nicht. Komm her.“
Ich setzte mich neben ihn und bot ihm mein Glas an.
Er schüttelte den Kopf. „Danke, ich trinke nicht gern.“
Ich schwieg. Er war so untypisch in jeder Beziehung. Wenn er gehurt, gesoffen und gekifft, sein Geld für fette Autos statt für Kinderleben ausgegeben hätte, wären dann alle viel mehr mit ihm einverstanden gewesen? Oder wäre er dann steuerbarer gewesen? Doch so schnell der Gedanke gekommen war, verflog er auch wieder.
„Hey, applehead“, riss er mich aus meinen Grübeleien. „Wo sind deine Bücher? Hast du keines dabei? Dann hättest du mir was vorlesen können.“
„Ja, schade“, lächelte ich. „Ich wusste nicht, dass du ein so starkes Interesse an diesen Dingen hast.”
Dann schwiegen wir beide. Es war so leicht mit Michael zu schweigen. Ich kann gar nicht sagen, was schöner war: mit ihm zu schweigen oder mit ihm zu reden. Es war gleich. Er war auf eine so hohe, fremde Weise präsent. Als ob er nicht in diese Welt gehörte, als ob er mit seinem Herzen ganz woanders verwurzelt sei.
Doch in dieser Nacht wirkte er gequält, er sah müde aus und zu erschöpft, diese Mattigkeit zu verbergen. Und er wirkte – nicht unglücklich, nein, aber unsagbar traurig. So traurig, dass mir unwillkürlich die Frage auf die Lippen kam: „Was hast du?“ Aber ich stellte sie nicht.
Leicht wiegte er seinen Oberkörper vor und zurück. Versunken in eine unhörbare Melodie saß er mit geschlossenen Augen auf der Bank, im Rhythmus mit sich selbst.
Mir war ein bisschen kalt und so zog ich die Beine an und legte die Arme drum herum. Aufgescheucht durch die Bewegung öffnete er die Augen.
„Hab ich dich gestört?“, fragte ich. „Das wollte ich nicht. Sorry, du warst grad so schön versunken.“
Michael schaute nur, er sagte nichts. Er schaute mich auch nicht direkt an, eher ein bisschen an mir vorbei, fast prüfend, und eine leise Vermutung machte sich in mir breit. Dann lehnte er sich wieder zurück und starrte auf den See.
„Du... du hast eine enorm stille Aura um dich herum“, sagte ich. „Wie ein schwarzes Loch, das einen nach innen zieht. Es ist sehr schön, neben dir zu sitzen.“
Michael schenkte mir ein vorsichtiges Lächeln. Es vergingen ein paar Minuten.
„Soll...soll ich dich doch lieber alleine lassen?“, unsicher sah ich an.
„Nein, nein...bleib doch, es ist okay... wirklich“, sagte er auf meinen zweifelnden Blick. Und dann fragte ich ihn doch:
„Michael, fehlt dir was? Kann ich dir irgendwie helfen?“
Er presste die Lippen zusammen.
„Nein...das kannst du nicht... mir geht es heute nicht ganz so gut...aber es gibt nichts, was du tun könntest. Außer hier sitzen. Trotzdem. Danke.“
Er wickelte sein Jacket dichter um seinen ausgemergelten Körper.
„Woher bist du eigentlich?“, fragte er.
„Deutschland“, antwortete ich einsilbig – ich überlegte mir gerade, ob ich ihm eine Decke holen sollte.
„Ihr Deutschen seid angenehm ruhig“, sagte er. „Ich mag Deutschland. Dort sind die Leute nicht so hyperaktiv.“
Ich lachte: „Kann schon sein... aber es schwappt leider immer mehr Blödsinn über den Ozean zu uns.”
Michael kicherte. „Und warum bist du dann ausgerechnet in den Staaten?“, fragte er.
„Gute Frage. Ich war noch nie hier. Ich wollte es einfach mal sehen... dieses Land der angeblich unbegrenzten Möglichkeiten.”
Sein Gesichtsausdruck änderte sich, als ob ich ihn an etwas Unangenehmes erinnert hätte und als wolle er davon ablenken, fragte er:
„Warum liest du diese Bücher? Wie bist du dazu gekommen?“
„Ach“, sagte ich. „Das ist eine lange Geschichte. Irgendwann sucht man Antworten, die man nirgendwo sonst findet. Die östliche Thematik zieht mich einfach an.”
„Meditierst du?“
„Schon, ja.”
„Warum?“
„Um mit dem in Berührung zu kommen, was mich ausmacht“, antwortete ich. „Dieses innere Glück zu spüren...mich dort zu verankern zu können...um letztendlich frei zu sein. Ich bekomme eine Ahnung davon, wer wir wirklich sind...und manchmal ist das, was bei der Meditation geschieht, so schön, dass ich mir wünsche, ewig in diesem Zustand bleiben zu können. Und dieser Hauch von Ahnung gibt mir Hoffnung, dass es mehr gibt, als das, was wir sehen...schreibt
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