Try hard to love me / Versuch doch, mich zu lieben (German Edition)
auf die alten Vorwürfe des Kindsmissbrauchs über, damals 1993, als Michael dem angeblichen Opfer Jordy Chandler Geld gezahlt hatte, um den Fall zu beenden.
Bashirs zynische Stimme: Die Vorwürfe wurden nie wirklich beigelegt, die Abfindung sei für viele ein Schuldeingeständnis gewesen und wupp:
Schnitt ins Jahr 2002 zu Michael, der händchenhaltend mit einem Jungen namens Gavin Arvizo auf dem Sofa sitzt und treuherzig erzählt, dass nach wie vor Kinder bei ihm übernachten – in seinem Schlafzimmer, er auf dem Boden, die Kinder im Bett.
Geschockt schloss ich an dieser Stelle die Augen. Oh, mein Gott, dachte ich. Warum tust du das? Du müsstest doch wissen, wie Menschen denken! Und wenn du schon an dich und deine Unschuld glaubst, dann doch nicht an einen Journalisten, der von Skandalen lebt! Ich hatte keine Bedenken, dass Michael diesen Kindern etwas antat – sonst hätte er sich nicht so vertrauensselig und arglos darüber geäußert. Welcher Pädophile ist so blöd, offen über das zu reden, was ihn belasten könnte? Trotzdem: Er war doch auch ein alter Hase im Geschäft: Warum sprach Michael vor der Kamera darüber?
Dass er dem Jungen die Krebsbehandlung bezahlt und sein Leben gerettet hatte, war an dieser Stelle nur noch nebensächlich.
Für Bashir und viele andere Menschen auf dieser Welt war diese Aussage der Beweis für unrechtes, kriminelles Verhalten.
Sie konnten Michaels Wesen nicht begreifen. Sie konnten nicht begreifen, dass Michael mit Sex nichts am Hut hatte und beseelt war von dem Gedanken, andere Menschen, in seinem speziellen Fall, Kinder, retten zu wollen, ihnen Hilfe zu geben, in einer Welt, in der sie nichts zu sagen hatten. Das sagte er auch Bashir, der ihn spitz fragt, ob er das richtig findet.
Michael verteidigt sich und zum ersten Mal wird er richtig lebendig und - sauer.
„Du denkst nur an Sex!“, ruft er entrüstet. „Allein, wenn du nur das Wort „Bett“ hörst! Ja, ich wünschte mir, es gäbe mehr Erwachsene, die sich um ihre Kinder kümmern, die sie in ihr Bett lassen, ihnen Liebe geben, statt sie vor den Fernseher zu setzen oder vor den Computer und sie Gewaltspielen aussetzen! Ich gebe diesen Kindern Liebe und das ist es, was die Welt braucht! Mehr Liebe!“
„Die Welt,“ so Bashirs niederträchtiger Kommentar dazu. „…braucht also einen 44-jährigen Mann, der mit Kindern in einem Bett schläft.“
Und obwohl der Journalist an dieser Stelle eine saftige Ohrfeige verdient hätte, fragt Michael ihn ungläubig: „Du lässt nie Kinder in dein Bett, die nie eine Kindheit hatten, die nie eine haben werden und die Liebe brauchen?“
Der Journalist verneint befremdet, aber er stellt in diesen Sekunden die vielleicht einzige, ehrlich gemeinte Frage:
„Warum bedeutet dir das so viel?“
Michael antwortet: „Weil ich die Qual dieser Kinder spüre, ihren Schmerz. Ich kann es spüren, ich bin mit ihnen verbunden, es ist, als wenn ich erlebe, was sie erleben. Ich möchte ihnen, wenigstens für einen Tag, ein Stück Familie geben, für einen Tag sie glücklich sehen, es ist wenig genug! Ich will ihnen helfen...es tut mir weh, dass sie keine echte Zukunft haben.“
Er sagt es mit Tränen in den Augen, beschreibt, wie er den Kindern Gute-Nacht-Geschichten vorliest, wie es heiße Milch und Cookies gibt und wie er sie zu Bett bringt, mit dem Gefühl einer tiefen Geborgenheit. All das, was er für sich nicht gehabt hatte, was er heute noch vermisst und er weiß, dass diese Geste in Kinderherzen etwas Entscheidendes bewegen kann.
„Das ist wichtig, Martin!“ sagt er eindringlich, aber verstört, vielleicht ahnend, dass sein Eindruck wieder mal den Vorurteilen über ihn Vorschub leistet, statt seine guten Absichten zu erklären. Und genau so ist es.
Martin geht es um die Bloßstellung: Kinder haben nicht in Betten von 44-jährigen zu schlafen. Dass Michael auf dem Boden schläft, wird unter den Tisch gekehrt.
Dann das niederschmetternde Finale: Der zynische, zu einem Satz verdorrte Bericht über Michaels soziales Engagement, über die Tatsache, dass Michael alle drei Wochen gesellschaftlich und gesundheitlich benachteiligte Kinder in sein Haus einlädt und sie alles tun lässt, worauf sie Lust haben. Gehässig bemerkt Bashir:
„Jackson lädt benachteiligte Kinder auf sein Anwesen ein“ - besonders sarkastisch: „Sie können ihr Glück kaum fassen“, und dem Blindesten wird klar, dass diese Kinder ganz bestimmt im Knusperhäuschen der bösen Hexe gelandet
Weitere Kostenlose Bücher