Try hard to love me / Versuch doch, mich zu lieben (German Edition)
totalen Knall?
Zu Beginn ist Bashir noch einigermaßen höflich, aber mit der Zeit wird er frech. Mit der Zeit merkt er, dass Michaels Freundlichkeit keine Grenzen hat. Dass Michael ihm keine Grenzen setzt. Und irgendwann kippt das Ganze in Richtung: Der Direktor verhört den Schuljungen.
Bereits in den ersten zehn Minuten seiner Dokumentation fällt Bashir das Urteil für ein Millionenpublikum, indem er sagt:
„Michael Jacksons Anwesen ist ein Paradies für einen zehnjährigen Jungen, Jackson aber ist 44 Jahre alt.“
All ihr Leute, die ihr Engelsfiguren im Haus und Gartenzwerge in euren Gärten habt, hütet euch vor Bashir!
Er ist Journalist, er weiß, was sich verkauft. Jede Episode, die er aufnimmt, gibt er so ungnädig wie nur möglich wieder. Er reißt Texte aus dem Zusammenhang und zeigt Michael aus ungünstigsten Perspektiven.
Er folgen suggestive Fragen nach der Anzahl der plastischen OPs, warum seine Kinder nicht normal aufwachsen können, ob es nicht unmenschlich sei, sie mit Masken herumlaufen zu lassen. Allein die Art der Fragen ist meinungsformend. Man sieht in Nahaufnahme die Mannequins, die Michael überall herumstehen hat, und, aus sehr unvorteilhafter Kameraeinstellung, wie Michael seine Einsamkeit mit interaktiven Videospielautomaten zu überbrücken versucht: Seine großen Füße stecken in Socken, die auf dem Laufband des Automaten etwas wegrutschen, was Bashir close up filmen lässt und was ganz sicher nichts mit Imageverbesserung zu tun hat.
Ein Einkaufsbummel in Las Vegas beweist: Jackson steht auf Kitsch und kauft völlig unkontrolliert. Es ist zu spüren, dass Mike mit diesen Szenen beweisen will, dass er alles andere als pleite ist.
Das Ding ist schon längst gekippt, als dem Zuschauer zudem suggeriert wird, dass Michael unfähig ist, Kinder zu erziehen. Ein Zoobesuch steht auf dem Plan, der hierfür ein paar Stunden geschlossen werden soll. Doch seltsamerweise weiß jeder Paparazzi und jeder Einwohner der Stadt Bescheid, der Zoo ist mitnichten geschlossen und aus dem Ausflug wird ein Desaster, das Michael sicher am meisten bedauert. Schließlich wollte er seinen Kindern eine Freude machen.
Bashir, streng, inzwischen ganz der unnachgiebige Kritikaster:
„Das war kein Ausflug für Kinder! Dein Sohn hat einen Regenschirm ins Auge bekommen!“
Der Kommentar dazu: ihm täten die Kinder von Jackson ja so leid.
Michael schuldbewusst, ausgeschimpft, sitzt auf dem Sofa und verbietet Bashir nicht den Mund.
Er hatte veranlasst, den Zoo für seinen Besuch zu schließen und das hat ihn sicher eine Stange Geld gekostet. Er hat Sorge für die Sicherheit seiner Kinder getragen und Bashir wusste das.
Ein weiterer, nachträglich unterlegter Kommentar zur Zoo-Episode:
„Someone helpfully gave them a tip.” Man fragt sich: Wer mag dieser ‚someone helpfully’ wohl gewesen sein? Für wen war es wirklich helpful?
Es steigert sich zum Crescendo, das Michael einmal mehr, und nicht nur, als unfähigen Vater darstellt:
Seine Fans schreien sich vor dessen Hotel in Berlin die Hälse wund. Sie wollen Michael sehen. Sie skandieren, sie wollen die Kinder sehen, um ihn heraus zu locken. Michael zeigt sich am Fenster, die Menge kreischt erfreut auf und sie rufen erneut: „Show us the baby!“
An dieser Stelle merke ich, wie sehr Michael die Liebe seiner Fans schätzt – und braucht. Sehr braucht. Mehr noch: Er kann ohne die Liebe seiner Fans nicht leben – sie sind sein Halt in dieser Welt. Sie sind sein Akku.
Er sitzt gefangen im Hotel. Möchte am liebsten auf die Straße runter und in dieser Liebe baden. Er kann nicht. Er sitzt oben, unerreichbar, ohnmächtig, aber er will doch so gern etwas tun! Er will so sehr diese Liebe hautnah spüren, die von unten heraufdringt, so sehr diese Leere in ihm füllen...die Emotionen überwältigen ihn und in einem spontanen Akt greift Michael den damals ein paar Monate alten Blanket, hält ein Tuch vor dessen Gesicht und zeigt ihn seinen Fans. Dabei kommt er ein Stückchen mit ihm über das Geländer des Balkons.
Eine unbedachte Reaktion mit verheerenden Folgen. Und für Bashir ein willkommenes Sensationsbonbon für seine Skandaldokumentation. Die Szene hat eine Sekunde gedauert. In allen Medien dieser Welt wird sie in Zeitlupe gezeigt: Michael mit aufgerissenem Mund, der sein Baby sekundenlang über die Brüstung baumeln lässt. Es wirkt schrecklich.
Und last but not least Hauptgang und Dessert gleichzeitig: Bashir schwenkt in seinem Kommentar plötzlich
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