Try hard to love me / Versuch doch, mich zu lieben (German Edition)
Gegensatz zu Michael. Der haspelt erregt eine Erklärung für die Balkongeschichte hervor: Dass das Baby zu keiner Zeit in Gefahr gewesen sei, er seine Kinder über alles liebe, er sie nie irgendwelchen Risiken aussetzen würde...
Aber er hat Blanket einem Risiko ausgesetzt, weil etwas in ihm hochgekommen war, was stärker war als er. Instinktiv weiß er es, denn am Schluss insistiert er bebend: „Ich bin unschuldig!“, und schiebt seine Unterlippe vor wie ein trotziges Kind.
Wieder dieses: „Ich hab nichts Böses getan! Ich hab nix gemacht! Ich war brav!“
Michael zeigte mir an dieser Stelle, seine tiefste, schwärzeste Angst. Und es war typisch, dass das, wovor wir Angst haben, immer wieder auftaucht, egal, wie stark wir uns bemühen, es nicht passieren zu lassen, es holt dich ein. Du kannst nichts dagegen tun – außer, dieser Angst endlich ins Gesicht zu sehen, damit sie sich auflösen kann und sich als das entpuppt, was sie ist: Der illusorische Wächter vor dem Tor zum Licht.
Die Szene hatte geschehen müssen. Michael hatte sie förmlich angezogen.
Und Bashir, selbst gefangen in seinem Denken, stand mit dem Messer hinter ihm, bereit, einen anderen Menschen zugunsten seiner eigenen Karriere bis zum letzten Blutstropfen auszuschlachten.
Hatte er gewusst, dass er für Michael damit das Tor zur Hölle öffnete?
XX / 1987/88
„Wo ist das Problem? Er braucht Ärzte, er wird immer mal ins Krankenhaus gehen. Und wenn nicht, sorg dafür. Gibt doch genügend Zeug, das schnell genug wirkt. Und lange genug.”
Michael war auch am darauffolgenden Tag nicht da. Und mir war es sogar recht, denn ich war noch zu aufgewühlt, zu ungeordnet, als dass ich ihm mit einer festen Einstellung hätte gegenübertreten können. Meine eigene Weltanschauung war ziemlich ins Wanken gekommen, ob der Schwierigkeiten mit denen er zu kämpfen hatte.
Michael war zwar nicht der Einzige, dem so etwas passierte, aber er war der Einzige, dem es in diesem großen Stil und so dauerhaft widerfuhr. Oder dauerte es nur so lange, weil er immer noch da war? Noch nicht zerbrochen war?
Und trotz allem ein guter Mensch geblieben war.
Am nächsten Tag recherchierte ich über Bashir. Es war interessant, was über ihn im Internet zu lesen stand:
Er war bereits in England wegen unseriöser Berichterstattung angeklagt worden. Sein Durchbruch war ein ähnlicher Charakter wie Michael gewesen. Ebenso liebevoll, ebenso in Charity unterwegs, ebenso gegen das Establishment kämpfend: Lady Diana. Doch die Menschen hatten damals mitfühlend auf Dianas Offenbarungen als unglückliche, betrogene Ehefrau reagiert. Vielleicht hatte seine Interviewpartnerin einfach nur Glück gehabt, dass dieser Schuss nicht nach hinten losgegangen war.
Ein Glück, das Michael nicht beschieden sein sollte? Seine Äußerung zu diesem Thema fiel mir ein: „Es gibt Menschen, die das verhindern...“
Und was hatte ich geantwortet? Dass es nur einen gäbe, der das verhindert und das wäre er? Mir wurde schlecht. Solche Glaubenssätze mit der Realität konfrontiert zu sehen, war verdammt hart.
Mit Erstaunen entdeckte ich einen Tag danach eine Gegendarstellung von Michaels Kamerateam im Netz, die bewies, dass der Eindruck der Bashirdoku durch entsprechende Schnitte gewollt verfälscht worden war – genau das, was man Bashir in seinen Gerichtsverfahren vorgeworfen hatte: Verzerrung der Tatsachen und Manipulation in der Berichterstattung.
Michael hatte während der gesamten Filmaufnahmen seine eigene Kamera mitlaufen lassen.
Und so war der Inhalt der Gegendoku eine Offenbarung: Hier öffnete sich jemand, den die Welt hätte verstehen können, ein verständlicher, humaner und humorvoller Mensch, der herzerwärmend über seine intimsten Gefühle sprach.
Wenn man das hörte, war klar, warum er Bashir bis zum Schluss vertraut hatte: In vollem Zusammenhang klang Michael vernünftig und sympathisch. Und natürlich hatte er geglaubt, dass dies so gesendet werden würde.
Er spricht offen darüber, warum er Erwachsenen gegenüber scheu ist, warum er sich mit Kindern wohler fühlt.
Kleine Kinder haben ihn noch nie betrogen oder hintergangen, sagt er. Das ist gar nicht in ihrem Kopf. Das kriegen sie erst mit, wenn sie älter werden. Sie verurteilen dich nicht, sie nehmen dich so, wie du bist, während Erwachsenen dein Status, deine gesellschaftliche Rolle und dein Vermögen wichtig ist.
Michael sagt Bashir, dass die Leute, die ihn kritisieren, gar nicht kennen, und erklärt, dass sie
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