Try hard to love me / Versuch doch, mich zu lieben (German Edition)
er sich.
„Warum willst du nicht proben?“, fragte sie ihn. „An der Veranstaltung bist du dann vielleicht so aufgeregt, dass du keinen Ton rausbringst.”
„Danke, Mam’“, sagte Michael höflich, aber bestimmt, „ich singe, wenn es soweit ist.“
Katherine lächelte ob seines Eifers, versprach, zur Aufführung zu kommen und nahm, als der Tag gekommen war, Josephs Vater Samuel mit, einen griesgrämigen, strengen Mann, der schwer aus der Reserve zu locken war.
Ein Kind nach dem anderen trat auf. Ihre Auftritte waren herzig und kindgerecht, aber Katherine spürte, wie Samuel neben ihr ungeduldig und grätzig wurde.
„Wann ist das endlich zu Ende?“, knurrte er, „meine Ohren tun weh von dem Gejaule. Wann taucht dein Gör endlich auf?“
„Mike kommt gleich dran“, flüsterte sie ihm begütigend zu. „Soweit ich weiß, ist er der Vorletzte...es dauert nicht mehr lange.”
„Will ich auch hoffen“, giftete Samuel. „Weshalb hast du mich mitgeschleppt? Mein Hintern tut weh, ich kann nicht mehr sitzen.”
Mit ungnädigem Husten und Räuspern ließ er eine weitere Darbietung über sich ergehen, ohne zu applaudieren.
Dann kam Michael. Still stellte er in die Mitte der Bühne. Er hatte noch keinen Ton gesagt und keine Note gesungen, aber der Raum war spürbar elektrisiert. Ein fühlbarer Ruck ging durch die Zuhörerschaft und allein seine Präsenz ließ sie sich gerader hinsetzen, die Augen erwartungsvoll nach vorne gerichtet.
Man spürte die Symbiose des kleinen Jungen mit der Bühne, mit der er zu verschmelzen schien. Michael stand da mit einer Selbstsicherheit, als ob dieser Platz für ihn erfunden worden wäre. Er spürte die Zuhörer mehr, als dass er sie sah. Er war voll von Gefühlen, voll von dem Lied, das er singen wollte, voll von dem Bedürfnis, alles, was er hatte, geben zu wollen. Diese Emotion floss heraus, breitete sich aus wie Nebelschwaden, erreichte jeden einzelnen der Zuhörer und griff an ihr Herz, bevor er auch nur den Mund aufgemacht hatte.
Dann begann er zu singen. Er legte seine kleine, alte Seele in das Lied. Alles, alles strömte heraus. Er konnte es fühlen, sehen, merkte, wie das Publikum mit ihm in Resonanz ging, spürte, wie er sie ergriff, wie sie auf seine Töne reagierten. Er füllte jeden Buchstaben seines Textes mit Emotion und gab diese an die Menschen da unten weiter - und sie nahmen es auf – sie missverstanden ihn nicht, sie fühlten genau, was er meinte. Es war vollkommene Harmonie, vollkommenes Verständnis, vollkommener Gleichklang.
Als er endete, war eine Sekunde Stille im Raum. Eine köstliche Sekunde Stille in Michael selbst. Dann brach tosender, nicht enden wollender Applaus auf ihn ein. Die Leute standen auf den Stühlen. Seine Lehrerinnen weinten und bekamen sich fast nicht mehr ein, der Direktor klatschte in die Hände, bis sie brannten. Katherine, die mit ihren eigenen Empfindungen zu kämpfen hatte, drehte sich zu Samuel um, und sah erstaunt, wie er sich mürrisch Tränen aus dem Gesicht wischte.
An diesem Abend war Michael glücklich bis zum Anschlag. Da war etwas, was er geben konnte. Was er der ganzen Welt geben konnte. Ich habe sie glücklich gemacht, dachte er immer wieder, ich habe sie glücklich gemacht! Davon wollte er mehr. Er konnte sich vielleicht nicht so gut mit Worten ausdrücken, aber er konnte es durch Musik und durch seine Person. Mit diesem Gedanken fühlte er sich wohl, das erschien ihm richtig und gut. Und es war ein so anhaltendes Gefühl, dass er Tage danach noch vor Freude juchzte.
Und der Verstand sagte ihm: Wenn du das tust, dann findest du dein Glück. Daran glaubte er. Was hätte er sonst tun können?
***
„Jermaine!“, brüllte Joe. „Du triffst den Ton nicht! Hörst du das denn nicht! Herrgott, Kinder, es geht um eure Zukunft! Ist das so schwer zu begreifen?“
Wohnzimmer - Rehearsal. Joe saß mit Argusaugen vor seinen Jungs und beobachte sie auf Schritt und Tritt.
„Tito! Dein Einsatz war zu früh!“
Der Gürtel schwang in seiner Hand, drohend flappte er auf den Boden, wenn Joe anfing zu schreien. Er war als Kind so gemaßregelt worden und es hatte ihm nicht geschadet. Er kam überhaupt nicht auf die Idee, dass ein Hieb Unheil anrichten könnte. Natürlich wollte er seinen Kindern nichts Böses. Sein Glaube war: Disziplin ist alles. Wer es zu etwas bringen will im Leben, muss hart zu sich selber sein. Muss sich selbst überwinden. Muss mehr leisten als andere. Michael gab ihm in diesem Punkt Recht, aber
Weitere Kostenlose Bücher