Try hard to love me / Versuch doch, mich zu lieben (German Edition)
Michael im Bett.
Katherine war zu ihm gekommen, hatte ihm übers Haar gestrichen und gesagt:
„Er will nur euer Bestes. Er meint es nicht so.”
Damit konnte er nichts anfangen. Joe meinte es so, dessen war er sich sicher. Sein Körper schmerzte höllisch. Seine Lippe war aufgeplatzt, es tat weh, wenn er sang. Und sein Herz...das weinte, still, und ohne, dass es jemand sehen durfte. In seiner Familie wurde nicht über Gefühle geredet.
Er sah zu den Sternen hoch und fühlte sich einsam. Inmitten seiner Brüder, die rings um ihn atmeten und körperlich anwesend waren, fühlte er sich allein. Er sehnte sich nach lichteren Energien, jenen, die er so deutlich spüren konnte. Fiel in einen Traum, träumte, er sei umgeben von Elfen in einem mystischen Wald und alles, alles war gut, alles war friedvoll und sonnig. Es war eine andere Welt.
***
Mir liefen die Tränen. Neben mir stand eine Kleenexbox und der Abfalleimer war halbvoll mit Taschentüchern. Aber nur von meinen, Michael blieb seltsam und beunruhigend abgeklärt – als habe er sich von diesen Geschehnissen distanziert. Schon vor langer Zeit.
„Wie bist du nur damit zurecht gekommen?“, schniefte ich. „Woher hattest du die Kraft, noch eine Probe durchzustehen?“
„Ich hab gelernt, auch mit Schmerzen aufzutreten“, sagte er. „Auf die Bühne zu gehen, egal, wie es mir ging. Selbst mit einem verprügelten Körper, einer Lungenentzündung oder einem Nagel im Fuß... wenn ich sang oder tanzte konnte ich vergessen. Dann schwamm ich in meinem Element, dann war alles gut.”
Nur konnte er nicht sein Leben lang singen und tanzen, um zu vergessen.
Auch, wenn diese Episode in Michael ganz sicher einen bleibenden Schaden hinterlassen hatte, hatte sie ihm auch einen gewissen Respekt verschafft. Keiner seiner Brüder, obwohl sie älter waren, hatte sich je gegen Joseph gewehrt. Das war den Brüdern sowie Joe bewusst. Eine Zeitlang behandelte er Michael etwas gemäßigter, was kaum spürbar war, weil er sowieso am wenigsten Anlass zu Beschwerden gab. Michael war der geborene Entertainer, sein Gespür für die richtigen Dinge zum richtigen Zeitpunkt einfach grandios. Er hatte ein geniales Gehör und eine verblüffende Koordinationsfähigkeit. Nach wie vor verfolgte er jeden Auftritt anderer Künstler und Schritte, die ihm gefielen, ahmte er in Sekundenschnelle nach. Er sah sie, übte sie und beherrschte sie. Und er übte sie so lange, bis er sie besser konnte als das Original, bis alles perfekt saß, bis es keinen einzigen Anlass für Schläge oder Beanstandungen gab. Dann rannte der kleine Michael zu seinen Brüdern, zeigte ihnen den Schritt und machte gleich Vorschläge für eine neue Choreographie.
Joe nahm mit Verwunderung diese so außergewöhnlichen Fertigkeiten seines Sohnes wahr und bremste ihn in diesen Dingen nie aus. Wenn er eines realisiert hatte, dann, dass Michael mit seinen Ideen die Gruppe nach vorne brachte.
Vielleicht war es eine Art Entschuldigung, aber Joe fing an, zu den Brüdern zu sagen:
„Macht es wie Michael. Nehmt euch ein Beispiel an dem Kleinen!“ Dann schlug er Marlon, Jermaine, Jackie oder Tito auf den Kopf und zwang sie, den Anweisungen ihres sechsjährigen Bruders zu folgen.
Selbst, wenn es eine Art Lob oder Respektsbezeugung sein sollte, so war das in mehrfacher Hinsicht kontraproduktiv. Die Brüder begannen ärgerlich zu werden und fühlten sich manchmal wie die Begleitband eines Kinderstars. Und Michael speicherte in seinem Kopf ab, dass er mit Leistung und Perfektion tatsächlich dem Unangenehmen ausweichen konnte. Er fühlte, dass es wichtig war, zu funktionieren und Leistung zu bringen. Das war seine Lebensberechtigung. War er gut, lief alles bestens. Aber wenn er die Erwartungen der anderen nicht erfüllte, kam all das Schlechte zu ihm. Er musste funktionieren. Und allein mit diesem Glaubenssatz legte er mehrere unheilvolle Magnete, unter anderem einen für Situationen und Menschen, die exakt diese Forderung an ihn stellten.
Die erste Hürde, die die Jackson Five nehmen mussten, waren die Contests, die im Bezirk ausgeschrieben waren. Joe meldete sie zu jedem einzelnen an. Seine eisenharte Disziplin machte sich bezahlt: Sie gewannen jeden einzelnen Wettbewerb ohne Ausnahme. Bereits in diesen Jahren warteten sie mit einer so großen Professionalität auf, dass niemand gegen sie eine Chance hatte. Das war das, die Michael an seinem Vater widerwillig bewunderte. Er wusste, was Erfolg ausmachte und das prägte sich ihm
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