Try hard to love me / Versuch doch, mich zu lieben (German Edition)
welche Stationen sie absolvieren, welche Hürden sie nehmen mussten, um nach oben zu kommen.
Unnachgiebig drillte er seine Kinder. Jermaine war der Leadsinger, die anderen sangen Background und spielten die Instrumente. Aber Joe wollte das volle Programm. Ihm war mehr als bewusst, dass es vor allem das Gesamtpaket war, das Menschen anzog. Es reichte nicht, nur einen guten Song zu spielen – er musste perfekt sein. Nicht nur die Zusammenstellung des Repertoires, auch die Kostüme, die Choreographie, das Tanzen...all das Außenrum war entscheidend.. Er bewies darin einen untrüglichen Instinkt und verlangte Perfektion in jedem Schritt, in jeder Note, in jeder Kombination. Michael sah gebannt zu, wenn sie übten, bewegte sich an der Seite mit, ahmte die Schritte nach und tat so, als ob er ein Mikrophon in der Hand hielte. Das fiel ihm leicht. Es war etwas, worin er sich absolut zu Hause fühlte.
Als Katherine dann eines Tages nach Hause kam, hörte sie Michael singen. Sie hatte ihn schon oft gehört, aber an diesem Tag fiel ihr auf, wie klar und kräftig seine Stimme war und wie engelsgleich. Fasziniert lauschte sie ihrem vier-jährigen Kind und ihr war klar, dass in Michael mehr als nur Talent steckte.
Sie sagte es ihrem Mann vor dem Abendessen. Der wollte nichts davon wissen. Ein Vierjähriger? Wie kam das an? Wie sollte das funktionieren, wenn sie auf Tour gehen sollten?
Katherine konterte: „Marlon ist fünf und er ist auch in der Band. Lass Mike vorsingen. Wenn du ihn hörst, weißt du, was ich meine.“
Sie hatte Recht. Joe packte es bei den ersten Tönen, die Michael sang. Der Kleine hatte etwas, was einem die Füße vom Boden wegzog! Seine Bedenken waren restlos verschwunden und sein Gesicht leuchtete.
Nach dem Abendessen fand die zweite Probe statt. Jermaine, neun Jahre alt, stellte sich an das Frontmikro und klärte seine Stimme, wie es ihm der Vater gezeigt hatte.
„Jermaine!“, bellte Joe und wies mit einem Kopfnicken nach hinten. Überrascht sah sein Sohn auf. „Ab heute ist Mike die Leadstimme. Du singst mit ihm ...oder im Background“.
Für Jermaine war das kein großer Akt. Sie waren Brüder und sie hatten alle das Gleiche vor. Sie wollten berühmt werden, wollten es schaffen und wenn Mike eine Bereicherung für die Band war, gab es keinen Grund, ihn nicht einzusetzen. Dennoch waren alle überrascht, wie mühelos er sich einfügte.
Der Kleine stand da vorne mit dem Mikro in der Hand, als ob er damit geboren wäre und er bewegte sich von Beginn an wie ein Vollprofi.
***
„One...two...three...four...!“
Die Musik setzte ein, die Jungs begannen zu singen, die ersten Schritte wurden gesetzt...
„Marlon! Du hast dich schon wieder vertanzt! Wie oft hab ich dir gesagt, du sollst dich konzentrieren!“, schrie Joe. Er packte den verängstigten Jungen und stieß ihn gegen die Wand. „Es geht hier um was, du Idiot!“
Marlon rieb sich die schmerzende Schulter. Der Choreographie zu folgen, würde sehr weh tun, aber das durfte er sich auf gar keinen Fall anmerken lassen. Eingeschüchtert biss er die Zähne zusammen, schnaufte tief durch, versuchte sich, zu konzentrieren. Aber er war müde. Drei Minuten später setzte er wieder einen Schritt zu spät auf.
„Marlon!“, brüllte Joe. Diesmal zog er den Gürtel aus der Hose. Das Leder surrte durch die Luft und klatschte mit unschönen Geräuschen auf Rücken und Gesäß des Jungens. Marlon schrie. Der Vater schrie. Katherine schrie. Die Kleinen bekamen Angst und schrien ebenfalls.
Michael presste die Hände an die Ohren und weinte. Oh, wie er das hasste, wie er das hasste! Nie, nie, nie sollte ihm das passieren! Er steigerte sich selbst in eine irrsinnige Perfektion hinein, um nur ja keinen Anlass für eine derartige Behandlung zu geben. Und Joe schrie immer und immer wieder:
„Ihr müsst die Besten sein! Es gibt nicht anderes als das BESTE! Es gibt Gewinner oder Versager in diesem Leben und keiner meiner Kinder ist ein Versager! Merkt euch das!“
Nächste Probe. Jermaine wurde geschlagen, weil er den Ton nicht getroffen hatte, Marlon vertanzte sich, fast schon wie erwartet, und Joe war auf 180. Die Stimmung war explosiv bis zum Erbrechen und die Kinder zitterten vor Anspannung. Dann verlor Michael bei einer Drehung das Gleichgewicht und seinen Schuh und fiel hin.
Joe hatte eine harte Schicht hinter sich. Draußen auf der Straße grassierte Kriminalität in beängstigender Geschwindigkeit. Gangs sprossen wie Pilze aus dem Boden und
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