Try hard to love me / Versuch doch, mich zu lieben (German Edition)
realisierte, wo er war. Er erblickte mich und die Erinnerung kehrte wieder.
„Wow“, machte er mit seiner so leisen Stimme. „Hab’ ich geschlafen?“
„Hast du“, antwortete ich und lächelte ihn an, „...fünfzehn Stunden. Grace macht sich schon...“
„Fünfzehn Stunden?“ Er setzte sich gerade hin. „Fünfzehn Stunden“, flüsterte er dann. Es dauerte ein paar Sekunden, dann glitt ein Lächeln über sein Gesicht und er reckte die Arme in die Luft, dehnte sich und wiederholte erfreut. „Fünfzehn Stunden!“
Eine Haarsträhne fiel ihm ins Gesicht. Er fasste sich an den Kopf, dann ins Gesicht, erschrak und quietschte wie eine Diva, die man mit Lockenwicklern, Gurkenscheiben und Quark im Gesicht erwischt hatte. So schnell er konnte, stand er auf und lief ins Bad. Ein erneuter Schrei gellte durch die Wohnung. Ich prustete los und bekam einen Lachkrampf. Ich lachte mich schief über Michaels so urkomische Art und ich lachte so laut, dass er beleidigt aus dem Badezimmer kam und mir einen Eimer Wasser über den Kopf goss. Entrüstet schrie ich auf.
„Der arme Teppich!“, rief ich, und als er erstaunt über die Bemerkung auf ebendiesen starrte, nahm ich die Wasserkaraffe und machte das Gleiche wie er.
„Du quietscht immer so süß!“, rief ich. „Quietsch doch mal! Quietsch mal für mich!“ Und da Michael wirklich automatisch losgequiekt hatte, mussten wir beide so sehr lachen, dass wir uns die Bäuche hielten.
Irgendwann am Abend kamen wir nach Hause. Ich hatte Grace eine SMS gesendet und sie stand an der Haustür – wie eine Mom, die auf ihre Kinder wartete.
„Hey, Grace“, sagte Mike und grinste sie an. Er verschwand schnurstracks zu den Kindern, wo er auch den restlichen Abend blieb.
Grace und ich liefen eine Runde durch den Park und ich erzählte ihr, was geschehen war.
„Und das war alles?“, fragte sie enttäuscht.
„Das war viel“, antwortete ich.
„Aber...aber...es war eine Winzigkeit! Ich meine, gemessen an dem Berg an Kummer in seinem Leben... war das nicht mehr als ein...ein Staubkorn!“
„Vielleicht. Aber vielleicht war das Staubkorn eine der Grundlagen für den Berg.“
Sie sah mich mit ihren dunklen Augen vorwurfsvoll an.
„Vielleicht ist es kein Staubkorn“, erklärte ich „sondern der Ursprung einer Kettenreaktion, verstehst du? Vielleicht war es ein Dominostein.“
„Du meinst, wenn das weg ist, könnte auch mehr weg sein?“
„Ja...vielleicht“, murmelte ich.
„Was heißt ‚vielleicht’?“, rief Grace nervös.
„Was erwartest du? Ich bin kein Therapeut! Er hat ja wirklich viel erleiden müssen! Ich weiß nicht, was noch kommt. Ich kann nur sagen: was weg ist, ist weg. Punkt.”
Grace sah mich fast verzweifelt an: „Dir ist klar, dass du hier Domino-Day spielst?“, fragte sie mich und sah gar nicht fröhlich aus.
„Sag mal, Grace, liebst du Michael?“, fragte ich sie spontan.
Grace sah mich an und schüttelte den Kopf. „Ich liebe ihn auf meine Weise“, sagte sie. „Aber ich bin nicht die Frau für Michael.“
„Wärst du es gern?“
Grace seufzte leise.
„Nein“, sagte sie. „Aber er hat jemanden. Seit einiger Zeit...hat er jemanden. Er ist nicht allein.“
Ich war so überrascht über diese Aussage, dass ich erst mal stumm blieb.
„Ist sie hier?“, fragte ich dann.
„Nein...sie leben nicht zusammen.”
Dann schnaufte sie tief durch, blickte nach vorne und stornierte damit jede weitere Bitte nach etwas mehr Enthüllung.
„Du hast Recht“, knüpfte sie an das alte Thema an. „Was weg ist, ist weg. Wir müssen dankbar sein für jede kleine Chance.”
„Eben. Diese Demütigung, die er damals erlitten hat, könnte wirklich die Grundlage für ein Muster in seinem Leben sein. Denk doch nur, wie er immer und immer wieder gedemütigt wurde...und wenn das jetzt weg ist... manchmal sind ganz viele Dinge mit einem einzigen Punkt gelöst.”
Grace sah mich an und schloss die Augen. Und dann sagte sie das, was ich schon so oft gehört hatte: „Ich hoffe nur... es ist nicht zu spät.”
Und wie immer weigerte sie sich, darauf einzugehen.
***
XX / 1989 somewhere
„Vorurteile haben Vorteile“, sagte er und lachte herb über sein eigenes Wortspiel. „Es gibt eine Studie, die besagt, dass ein Vorurteil dazu führt, dass Menschen sich leichter beeinflussen lassen. Wenn du Frauen vor einer Prüfung sagst, dass Frauen schlechter rechnen können als Männer, fällt ihr Test schlechter aus. Wenn du dasselbe Männern sagst,
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