Try hard to love me / Versuch doch, mich zu lieben (German Edition)
passiert das nicht – weil es kein Vorurteil gibt, das die These untermauert. Was ergo den Schluss zulässt, dass Du nur Vorurteile säen musst, um Leute leichter zum Glauben zu bringen...genial, nicht?
Schmatzend paffte er. Eine Minute, zwei Minuten, fünf Minuten. Dann:
„Presse ist was Feines. Manche Menschen glauben, dass die Presse andere manipuliert. Und sie haben Recht. Was sie allerdings nicht wissen, ist, dass die Presse manipuliert ist. Und das Allerschönste an der Sache ist: Es kostet wenig Aufwand. Du legst eine satte Kugel auf die Bahn und sie rollt. Und sie nimmt all die anderen mit. Niemand fragt, ob das wahr ist, was du textest. Sie übernehmen einfach das Geschreibsel vom Kollegen – wenn es skandalös genug ist. Und das, was Menschen noch am wirksamsten eliminiert, sind Gerüchte. Und weißt du warum?“
Die Augen wandten sich ihm amüsiert glitzernd zu. „Weil es dasselbe ist wie mit dem Ruhm ist. Maslow’sche Bedürfnispyramide...soziale Zugehörigkeit...das wollen sie alle. Ein Gerücht ist in der Lage, Menschen aus dem sozialen Netz zu spalten. Und Menschen ertragen es nicht, nicht geliebt zu werden. Liebe – alle streben danach...niemand spannt, dass sie das wahre Kreuz der Menschheit ist. Das ist ihre Geißel...dafür tun sie alles.”
Michael und ich vereinbarten eine Pause von zwei Tagen, dann sollte es weitergehen.
Wir blieben diesmal zu Hause und schlossen uns im Kaminzimmer ein. Draußen war es warm, aber Michael hatte Feuer machen lassen. Er liebte Feuer und er liebte die Nächte.
Es ist nichts passiert
Wenn Michael nach dieser Nacht eines im Gedächtnis geblieben war, dann Titos Satz: „Es ist nichts passiert, es ist nichts passiert.“
Das war der Satz, der in seinem Kopf hämmerte, wenn er Angst davor hatte, einzuschlafen, den Tito ihm stereotyp einbläute, wenn er ihn aus einem Alptraum holte, und den er tagsüber rezitierte, wenn er spürte, dass etwas in ihm hoch kroch ... in Form von kaltem Schweiß, Zittern und Scheu. Es ist nichts passiert... es ist nichts passiert...er tat das, was er in seiner damaligen Situation als einzige Chance hatte: Er verdrängte das Erlebnis, bis es nicht mehr zu sehen war.
Und so sank es in die Tiefen seiner Seele, dorthin, wo es dunkel war, wo selbst er es nach einiger Zeit nicht mehr finden konnte. Seine Träume jedoch konnte er nicht kontrollieren. Da schwemmte es hoch und Schlaf wurde zu etwas, was ihn in die erlebte Hölle zurückführte, eine Hölle, aus der ihn seine Brüder befreien mussten.
Michael hatte Angst vor erwachsenen Männern. Sein Leben lang.
Seine Brüder beratschlagten sich und beschlossen, Joe zu erzählen, dass Michael nachts schrie, aber nicht, warum. Sie hatten Bedenken, dass er sie daraufhin alle in ihre Zimmer einsperren würde. Und so sagten sie ihm lediglich, dass Michael schlecht schlafe und träume.
Joe konnte damit wenig anfangen. Das war Weichei-Gehabe, dass er seinem Jungen austreiben musste.
„Hör mal, Freundchen“, sagte er zu Michael und es sollte sanft klingen. „Es gibt Gewinner und Versager auf dieser Welt und meine Kinder gehören nicht zu den Versagern.“
Er wollte ihm damit helfen, wollte ihm damit sagen, dass es manche Dinge gab, über die man einfach hinweg schauen musste. Aber Joes Begabung lag nicht in seinen therapeutischen Fähigkeiten und seiner sehr eigenen Auffassung von Pädagogik. Er wollte seine Jungs stark und lebenstüchtig machen.
Aus diesem Grund tat er etwas, was er schön öfter gemacht hatte, um seinen Kindern etwas klarzumachen: Er setzte sich eine Horrormaske auf und kletterte in der Nacht mit einer Leiter zum Zimmer seiner Kinder hoch. Polternd schlug er an das Fenster und schrie und tobte wie ein Wahnsinniger. Die Kleinen wie die Großen fuhren mit wild klopfenden Herzen hoch, worauf Joe sich die Maske vom Gesicht riss und ein Gelächter anstimmte, das fast noch schauriger als sein Grölen vorher klang.
Er wollte damit sagen: Seht her, alles nur Attrappe! Alles Illusion! Aber er machte es nur noch schlimmer.
Michael begann seinen Vater als Inbegriff des Bösen zu sehen. Er war derjenige, der Leid und Angst verursachte. Der erwachsene Mann, der ihn schlug, seine Frau betrog und der eine ungute Atmosphäre schuf. Er begann, ihn zu hassen. Und nicht nur das. Er tat das, was viele Kinder in ihrer Not machten: Er polarisierte. Die Mutter war gut, der Vater war der Feind. Manchmal musste sich er schon übergeben, wenn er ihn nur sah, weil er nicht nur ihn sah,
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