TS 13: Slan
sie irgendwie zu verletzen.
„Ja“, entgegnete Kathleen kurz. „Hier bin ich. Ich hatte gehofft, daß ich zur Abwechslung einmal allein sein könnte.“
Sie schwieg einen Augenblick und fuhr dann kalt fort: „Ich möchte ab sofort von dir in Ruhe gelassen werden. Dein Geist ist wie eine Senkgrube. Es tut mir leid, daß ich überhaupt mit dir gesprochen habe, als du mich das erste Mal anglotztest. Ich hätte Bescheid wissen sollen, und ich hoffe, du erkennst, daß ich offen mit dir spreche, weil du sonst nicht glauben würdest, daß ich es ernst meine. Nun – ich meine es ernst! – Jedes Wort! Besonders das von der Senkgrube. Jetzt laß mich allein.“
„Jaaah!“ entgegnete er. Und sprang auf sie zu.
Einen Moment lang lähmte sie ihre Überraschung über seinen Wagemut, sich mit ihrer überlegenen Stärke zu messen. Dann preßte sie die Lippen zusammen, packte ihn, indem sie spielerisch seinen wirbelnden Armen auswich und riß ihn in die Höhe, so daß sich seine Füße vom Boden hoben. Zu spät erkannte sie, daß er genau das von ihr erwartet hatte. Seine groben Finger griffen nach ihrem Kopf, packten eine Handvoll Haare. Dann lagen die seidenfeinen Fühler in seiner Faust, wo sie als goldene Fäden schimmerten.
„Aha“, triumphierte er. „Jetzt habe ich dich. Laß mich nicht los! Ich weiß, was du gern tun würdest. Mich auf den Boden zurückstellen, meine Handgelenke packen und drücken, bis ich loslasse. Wenn du mich auch nur einen Zentimeter sinken läßt, werde ich dich so stark an denHaaren ziehen, daß einige dieser kostbaren Fühler ausreißen. Ich weiß, daß du mich hochhalten kannst, ohne zu ermüden – darum halte!“
Äußerste Bestürzung hielt Kathleen am ganzen Körper erstarrt. Kostbare Fühler, hatte er gesagt. So kostbar, daß sie zum ersten Male in ihrem Leben einen Schrei unterdrücken mußte. So kostbar, daß sie bisher niemals auf die Idee gekommen war, jemand könnte es wagen, sie zu berühren.
„Was willst du?“ keuchte sie.
Aber sie benötigte seine Worte nicht. Sie sah die Antwort klar und deutlich in seinen Gedanken.
„In Ordnung“, meinte sie schwach, „ich werde es tun.“
„Und laß mich langsam hinunter“, sagte der Jüngling, „Und wenn meine Lippen die deinen berühren, achte darauf, daß der Kuß wenigstens eine Minute lang dauert. Ich werde dir helfen, mich wie Schmutz zu behandeln!“
Sein grinsendes Gesicht näherte sich dem ihren, als plötzlich eine scharfe Stimme hinter ihnen ausrief: „Was zum Teufel soll das bedeuten?“
„Huh!“ stammelte Davy Dinsmore. Sie fühlte, wie sich seine Finger aus ihrem Haar lösten, und dann ließ sie ihn mit einem Aufstöhnen fallen. Er taumelte, gewann mühsam das Gleichgewicht wieder und stotterte: „Ich … ich bitte um Verzeihung, Mr. Lorry. Ich … ich …“
„Hau ab, du elender Hund!“ sagte Kathleen.
„Ja, geh!“ meinte Jem Lorry kurz.
Kathleen blickte hinter Davy her, der erschrocken davonstolperte; der Gedanke, einen der großen Männer der Regierung erzürnt zu haben, mußte ihn sehr verwirrt haben.
„Was war denn eigentlich los?“ ertönte die nicht unangenehme Stimme des Mannes hinter ihr. „Anscheinend bin ich gerade im richtigen Augenblick gekommen.“
„Oh, ich weiß nicht“, erwiderte Kathleen kalt. „Ihre Aufmerksamkeiten sind für mich ebenso abstoßend.“
„Hm-m-!“ Er trat neben sie.
„Ein großer Unterschied besteht im Grunde nicht“, sagte Kathleen. „Ihr beide wollt genau dasselbe.“
Er schwieg einen Moment lang, aber seine Gedanken besaßen die gleiche gesammelte Straffheit wie die von Kier Gray. Die vergangenen Jahre hatten ihn gelehrt, seinen Geist vor ihrem suchenden und tastenden Wahrnehmungssinn zu verschließen. Als er schließlich sprach, war seine Stimme verändert. Sie klang härter.
„Deine Einwände nützen dir nichts. Das einzige Problem ist, wie ich von dir Besitz nehmen kann, ohne mich der Anschuldigung auszusetzen, daß ich mit den Slans in geheimer Vereinbarung stehe. Solange ich noch keine Lösung hierzu gefunden habe, kannst du frei deines Weges gehen.“
Seine Sicherheit konnte Kathleen nicht erschüttern. „Sie irren sich“, meinte sie fest. „Der Grund, warum Ihre Pläne mißlingen werden, ist sehr einfach. Kier Gray ist mein Beschützer. Selbst Sie wagen nicht, sich gegen ihn zu stellen.“
Jem Lorry dachte darüber nach. „Dein Beschützer, ja. Aber er kennt keine Moral, wenn es um die Tugend einer Frau geht. Na ja, ich werde
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