TS 13: Slan
Bewegung erkennen lassen, daß sie seine Annäherung auf der breiten, glasumkleideten Promenade beachtete.
„Ja – a – ah! Sieh dir die Stadt nur genau an. Es ist das letzte Mal.“ Einen Augenblick lang drang die Bedeutung der Worte nicht in ihr Bewußtsein ein. Aber dann wirbelte sie herum und blickte ihn an.
„Das letzte Mal! Was willst du damit sagen?“
Und dann vernahm sie wieder seine schrille Stimme: „Ja – a – ah, das letzte Mal! Morgen ist dein elfter Geburtstag, nicht wahr?“
Kathleen gab keine Antwort und tat so, als ob sie nichts gehört hätte. Aber ein Gefühl der Unruhe schlich sich in ihre Unbekümmertheit ein. In seiner Stimme lag zuviel Schadenfreude, zuviel Gewißheit. War es möglich, daß schreckliche Dinge geschehen waren, während all dieser Monate, in denen sie ihren Geist vor den Gedanken dieser Menschen abgeschlossen hatte?
Davy Dinsmore schnappte:
„Du hältst dich wohl für klug, nicht wahr? Nun, du wirst dir nicht so klug vorkommen, wenn sie dich morgen töten. Vielleicht weißt du es noch nicht, aber Mama sagt, daß man sich im Palast erzählt, Mr. Kier Gray habe damals, als man dich hierher brachte, dem Kabinett versprechen müssen, dich an deinem elften Geburtstag töten zu lassen. Und glaube ja nicht, daß sie es nicht tun werden! Gestern haben sie auf der Straße eine Slanfrau erschossen. Was hältst du davon, du Intelligenzkanone?“
„Du bist verrückt!“ Die Worte entrangen sich unwillkürlich ihren Lippen. Aber sie brachten nicht das zum Ausdruck, was sie dachte. Irgendwie bezweifelte sie nicht, daß er die Wahrheit sprach.
Nachdenklich blickte sie auf die Stadt hinunter, auf die sich inzwischen die Nacht gesenkt hatte. Eine Milliarde Lichter blinkten in dem endlosen Panorama. Eine Wunderstadt, ein riesiges blitzendes Juwel, ein unglaubliches Märchenland aus Gebäuden. Wie hatte sie sich immer danach gesehnt, diese geheimnisvolle Stadt zu betreten und selbst alle die Wunder zu sehen, die sie sich in ihrer Phantasie vorstellte. Jetzt würde sie natürlich niemals dazu kommen.
„Ja – a – ah!“ kam Davys mißtönende Stimme wieder. „Sieh dich nur gut um. Es ist das letzte Mal.“
Kathleen schauderte. Sie konnte die Gegenwart dieses erbärmlichen Jungen keine Sekunde länger ertragen. Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, wandte sie sich um und stieg in den Palast hinunter – hinunter in die Einsamkeit ihres Schlafgemachs.
Der Schlaf wollte nicht kommen. Kathleen bewegte sich unruhig in ihrem Bett. Die Slanfühler – dünne Fäden, die wie poliertes Gold in dem dunklen Haar schimmerten, das ihr fein geformtes kindliches Gesicht krönte – lösten sich von ihrem Haar, erhoben sich und wehten sanft hin und her, als ob sie ein leiser Luftstrom erfaßt hätte.
Abrupt drang der drohende Gedanke, den die empfindlichen Antennen aus dem nachtverhüllten Palast von Kier Gray zogen, in ihr Bewußtsein ein. Kathleen lag völlig unbeweglich, als aus den Tiefen ihresBewußtseins die Erkenntnis dessen kam, was der fremde Gedanke bedeutet hatte. Jemand wartete nicht bis morgen. Jemand bezweifelte, daß ihre Exekution stattfinden würde. Und er beabsichtigte, die Ratsversammlung vor eine vollendete Tatsache zu stellen. Es konnte nur eine solche Person geben, die mächtig genug war, um alle Folgen auf sich nehmen zu können: John Petty, der Chef der Geheimpolizei, der fanatische Antislan. Der Mörder mußte einer von seinen Leuten sein.
Kathleens Wahrnehmungssinn drang weiter vor, getrieben von wachsenden Befürchtungen.
Und plötzlich kam es dann – ein Gedankenfetzen voll brutaler Entschlossenheit, die feste Absicht, sie zu töten!
Ihr Verstand raste, als die Wahrheit wie ein Schock in ihr explodierte. Der Mann befand sich bereits in ihrem Schlafgemach und kroch in diesem Augenblick auf ihr Bett zu.
Die Zeit schien für sie stillzustehen, als sie unbeweglich dort lag.
Sie konnte sich nicht bewegen. Sie konnte nichts sehen. Sie konnte nur die wachsende Erregung spüren, die durch den Geist des Mörders pulste. Seine Gedanken waren rascher; er hatte vergessen, sie zu tarnen.
Und in dieser völligen Enthüllung seiner Gedanken las Kathleen die Geschichte des Angriffs. Dieser Mann war der Wächter, der vor ihre Tür postiert worden war. Aber es war nicht der gewöhnliche Wachhabende.
Sie las den Plan in seinen Gedanken, als er sich vom Boden erhob und sich über das Bett neigte. Zum ersten Male erspähten ihre Augen den gedämpften Schimmer des Mordstahls,
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