TS 37: Tödliche Träume
harmlosen Seiten. Und die allein liegen mir am Herzen. Ich denke hier in erster Linie an die unmittelbare Gegenwart, obgleich wir auch die zukünftige Entwicklung stets im Auge behalten sollten. Die Dinge sind letzten Endes sehr kompliziert. Das ganze heutige Weltbild wird durch menschliche Konflikte und durch einen natürlichen Widerspruchsgeist verzerrt und verdunkelt. Durch Gewalttätigkeit erhält das individuelle Ende durch den Tod erneut Bedeutung. Ich weiß nicht, ob diese Entwicklung in Ihrem Sinne ist. Sollten Sie jedoch – bitte, verzeihen Sie meine Offenheit – bewußt oder unbewußt die Schuld an diesem Zustand tragen, so sagen Sie es mir ehrlich. Ich muß so oder so die Entscheidung für mein eigenes Handeln treffen.“
Schaeffers Mienenspiel durchlief ein Spektrum nuancierter Gemütsbewegungen. Unwille, Humor, Zorn, Reue – und sogar Demut. Doch sein starrer Blick blieb unverändert auf Harwell gerichtet, als wolle er sein Gehirn sezieren.
„Damit wären wir tief in der Philosophie gelandet“, sagte er. „Ich danke Ihnen, daß Sie so offen waren. Aber wie soll ich Ihnen erklären, was für eine Sorte Mensch ich bin, wo es wahrscheinlich niemand gibt, der sich selbst restlos kennt? Und Ihre anderen Befürchtungen? Vielleicht bin ich nicht weniger darüber besorgt als Sie, Harwell. Sie glauben offenbar, daß ich alle verborgenen Einzelheiten unserer sozialen Misere in der Hand halte. Aber die Welt ist nicht mein Marionettentheater. – Was haben Sie gegen den Sensipsych oder gegen die Wiederverjüngung? Sie sind das Ergebnis des wissenschaftlichen Fortschritts, der uns mit materiellem Überfluß, mit Sicherheit und Freude versorgt, ohne daß wir uns anstrengen müssen. Die Zukunft der menschlichen Rasse wird im wesentlichen davon abhängen, welche Qualitäten man nun zu den guten und welche man zu den schlechten rechnet. – Unsere Vorfahren waren stolze Krieger, Harwell. Ihre Nachkommen wollen genauso sein, obwohl es heute kaum noch etwas gibt, um das sich das Kriegspielen lohnt. Also kämpft man aus Stolz und um des Kampfes willen. Können Sie sich etwas Sinnloseres vorstellen als den Krieg als Selbstzweck? Ist nicht das vielleicht die wahrhaftige Krankheit unserer Zeit? Ich meine, nur der wissenschaftliche Fortschritt kann diese Krankheit heilen. Wenn der Stolze den Frieden findet und seine Träume bis in die fernste Zukunft garantiert bekommt, wird er zufrieden sein. – Das also wären meine Argumente, Harwell. Und nun entscheiden Sie, welcher Standpunkt der richtige ist!“
Der Besucher machte keine Anstalten zu antworten. Er wartete immer noch auf das Wesentliche. Und Schaeffer fuhr fort:
„Natürlich ist mir auch die Theorie bekannt, unsere ganze Kultur zu revidieren und auf eine primitivere Stufe zurückzuführen. Auf dem Wege des Blutvergießens, das sich im Augenblick anzukündigen scheint. Doch für mich persönlich und für viele andere – Sie wahrscheinlich eingeschlossen – existiert das Problem des Todes nicht. Ich kann mir nicht denken, daß mein Leben für die nächsten tausend Jahre langweilig, zwecklos oder uninteressant sein wird. Bei der Verschiedenheit der Menschen werden Sie immer Ausnahmefälle finden. Auch das vollendetste Zeitalter wird noch seine Unzufriedenen haben. Doch die können niemals unser Maßstab sein.“
Schaeffer schwieg. Manche seiner Ideen leuchteten Harwell ein. Doch was Harwell in erster Linie wissen wollte, hatte Schaeffer nicht gesagt.
„Ist das alles?“ fragte Harwell.
Schaeffer nickte. Sein Lächeln verzog die Lippen zu einer schmalen Doppellinie.
„Hatten Sie eine Beichte von mir erwartet, Harwell? Oder daß ich Ihnen nach dem Munde reden werde? Natürlich ist es nicht schwer, Ihre Gedanken zu rekonstruieren. Als Schauspieler sind Sie mit Ihren ganzen Problemen dem Publikum ausgesetzt. Und auch ich gehöre zu Ihrem Publikum, wie Sie wissen. Ich weiß, was man auf den Jupitermonden gefunden hat und was Sie beschäftigt. Interessant – kann ich nur sagen. Sie sind ein freier Mann, Harwell. Glauben Sie bitte nicht, daß ich Ihre Pläne zu durchkreuzen versuche.“
Schaeffers Blick war verklärt und in die Ferne gerichtet. Er berührte Harwell wie ein kalter Hauch. Nachdem er die Einstellung des Wissenschaftlers so deutlich zur Kenntnis genommen hatte, fühlte er sich hinauskomplimentiert. Trotzdem versuchte er es noch einmal.
„Hören Sie, Doktor! Es werden Menschen sterben. Wahrscheinlich Millionen. Warum versuchen Sie nicht
Weitere Kostenlose Bücher