TS 49: Der Weltraumarzt
mehr als den Tod. Sie waren zu sehr enttäuscht oder auch zu skeptisch, sich Hoffnungen zu machen. Aber sie bewährten auf jeden Fall Haltung.
„Für das, was hier geschehen ist, gibt es meines Wissens in der Geschichte der Menschheit kein genau zutreffendes Vorbild“, erklärte Calhoun. „Es gab zwar vor ungefähr tausend Jahren einen König von Frankreich – das war ein Land drüben auf der alten Erde – und dieser König versuchte, eine Krankheit, die man Aussatz nannte, dadurch auszurotten, daß er alle Erkrankten umbringen ließ. Aber Aussätzige waren damals nicht nur lästig für die Öffentlichkeit, sondern auch gefährlich. Sie konnten nicht arbeiten, waren also auf das Betteln angewiesen. Viel schlimmer aber war die Tatsache, daß sie an allen nur erdenklichen Orten vom Tod ereilt wurden und daß nur andere Aussätzige es wagen durften, mit den Leichen umzugehen. Die Seuche des Aussatzes drohte, die gesamten normalen Lebensabläufe der damaligen Gesellschaft völlig in Unordnung zu bringen. Hier liegt der Fall aber ganz anders. Der Mann, den ich getötet habe, wollte euch seinerseits aus anderen Gründen umbringen. Er und seine Freunde hatten von vornherein die Absicht euch zu beseitigen, also bereits vor dem Ausbruch der Seuche!“
Das Schweigen, das diesen Worten folgte, war beredt genug.
„Wenn die Seuche wirklich mit verbrecherischem Vorbedacht hier verbreitet wurde“, fuhr Calhoun fort, „dann ergibt sich daraus mit logischer Konsequenz, daß ihr als Tatzeugen beseitigt werden müßt, bevor Siedler aus einer anderen Welt als Dettra hier eintreffen.“
„Unvorstellbar! Ungeheuerlich! Satanisch!“ knurrte der Mann mit dem dunklen Bart.
„Zugegeben!“ sagte Calhoun. „Aber es gibt zur Zeit ebensowenig eine interstellare Regierungsautorität, wie es in der Vergangenheit der alten Erde eine planetarische Weltregierung gab. Wenn also jemand sich nach Piratenart eine zur Besiedlung bereite Kolonie aneignet, dann gibt es keine Macht, die stark genug wäre, ihm den Raub streitig zu machen, oder ihn zu bestrafen. Die einzige Alternativlösung wäre ein Krieg. Niemand wird aber im Ernst daran denken, einen interplanetarischen Krieg zu entfesseln. Wenn es den Eindringlingen gelingt, hier eine Bevölkerung zu landen, dann kann sie niemand mehr vertreiben. Das ist zwar Piraterie, zugegeben, aber niemand ist in der Lage, etwas gegen die Piraten zu unternehmen.
Es gibt keine andere Lösung, Ihr müßt euch verstecken, und zwar möglicherweise für die Dauer“, erklärte er ihnen. „Ob das wirklich nötig sein wird, hängt unter anderem auch von meinem weiteren Schicksal ab. Auf jeden Fall bleibt mir nichts anderes übrig, als in die Stadt zu gehen. Es gibt dort ein sehr ernstes Problem der öffentlichen Gesundheitsfürsorge!“
Kim sagte mit leiser Ironie:
„In der Stadt? Dort sind alle Leute gesund. Es geht ihnen sogar so gut, daß sie das Bedürfnis haben, hier draußen Jagden auf uns zu veranstalten!“
„Wenn man die totale Verseuchung der Stadt berücksichtigt, ist die Immunität ihrer Bewohner zweifellos ein Problem der Gesundheitsfürsorge“, erwiderte Calhoun, „Aber davon abgesehen, ich vermute, daß die eigentliche Ursache der Seuche dort und nirgends anders zu finden ist, denn der Entdecker und Erfinder dieser Krankheit dürfte wohl als technischer Leiter der auf diesem Planeten durchgeführten Ausrottungsaktion am ehesten in Frage kommen. Wenn er tatsächlich anwesend ist, dann befindet er sich mit ziemlicher Sicherheit in dem Transportschiff, mit dem die Mordbanditen gekommen sind. Daß er im Schiff ein ganz hervorragendes Laboratorium zur Verfügung hat, dafür würde ich mein letztes Hemd verwetten!“
Kim starrte ihn wortlos an, nur die Finger seiner Hände streckten und beugten sich wie in einem Krampf.
„Aus meinen immerhin begründeten Annahmen ziehe ich den logischen Schluß, daß jeglicher Versuch der Seuchenbekämpfung zwecklos ist, solange dieser Mann und sein Laboratorium nicht ausgeschaltet werden können“, erklärte Calhoun. „Sie und Ihre Leute hier sind wahrscheinlich bereits über den Berg. Es sollte mich sehr wundern, wenn Sie nicht schon morgen beim Aufwachen eine deutliche Besserung spüren werden. Kurz und gut, ich glaube fest, daß Sie wieder gesund werden. Aber wenn es sich tatsächlich um eine künstliche Seuche handelt, dann wurde sie in der Absicht entwickelt, einen Kolonialplaneten für die Leute unbenutzbar zu machen, die ihn ursprünglich
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