TS 54: Alle Zeit der Welt, Teil 2
Zwinkern.
„Habe ich etwas anderes behauptet? Ich erprobe nur, wie weit zu gehen ich mir leisten kann. Außerdem wirst du morgen erleben, daß sämtliche Frauen in …“
„Sieh dir das an!“ Harker setzte sich plötzlich auf, den Blick auf den Fernsehschirm gerichtet. Kedre drehte sich mit einer Karte in der Hand um, und dann verharrten beide reglos und beobachteten die unwirklich erscheinenden Vorgänge auf dem flimmernden Rechtedv an der Wand.
Das Boot kreuzte auf den Landeplatz im Innern einer kreisrunden, langgestreckten Kette von Wellenbrechern zu. Eine weiße Mole sprang in die graue See vor.
Zehn junge Männer und Frauen fuhren mit dem Boot der Unsterblichkeit entgegen, deren Erlangung ihnen in Aussicht gestellt worden war. Unruhig drehten sie ihre Köpfe hierhin und dorthin und starrten auf die fremdartige Welt, die in den Kuppeln in einem Atemzug mit Gefahren und Abenteuern genannt wurde. Gleich den Jünglingen und Mägden, die Jahrtausende zuvor auf Kreta den Opfergang zum Minotaurus angetreten hatten, beobachteten sie angstvoll die mächtige Wand des Dschungels, die näher und näher heranrückte, und die niedrigen, geglätteten Mauern der Niederlassung, die den Namen Plymouth erhalten hatte. Die Mauern umgaben das erste Eiland, das erobert werden sollte.
Kein Minotaurus erhob sich aus der See und versperrte dem Boot den Weg; aber auf Opfer war das auftauchende Geschöpf aus. Eine Vielzahl von Sauriern bevölkerte die Meere, von denen die wenigsten bereits mit Bezeichnungen belegt worden waren. Keiner der Zuschauer hatte schon früher einen Saurier von der Art dessen erblickt, der aus den milchigen Fluten in die Höhe schoß. Während das Wasser zu beiden Seiten seines dunkelschimmernden Halses herabfloß, erhob er den Kopf meterhoch über die See, riß einen Rachen auf, in dem der Kopf eines Mannes Platz hatte, und zischte. Mehrere Reihen langer, gebogener Fangzähne saßen in dem weitgeöffneten Schlund.
Ein einziger entsetzter Schrei stieg von dem heftig schwankenden Boot auf, an dessen Deck die Menschen verzweifelt versuchten, sich nach der entgegengesetzten Schiffshälfte zu flüchten. Der Kopf des Sauriers tauchte auf sie herunter. Unbestreitbare Anmut lag in der gleitenden, mühelosen Bewegung. Die Bestie schien sich ein Mädchen am Bug als Opfer erwählt zu haben, dessen blondes Haar und korallenrotes Gewand hell gegen das fahlgraue Seewasser abstachen.
Einen Augenblick lang herrschte entfesselter Tumult an Bord des kleinen Schiffes. Dann beugte sich der Lotse mit einer fast verächtlich zu nennenden Bewegung vor und legte einen Hebel um. Auf beiden Seiten des Bootes glitt durchscheinendes Impervium in die Höhe und schloß sich zu einem unüberwindlichen Schutzdach.
Der herabtauchende Kopf des Sauriers prallte heftig gegen die Kuppel. Das Boot krängte und tauchte mit seiner Imperviumhülle tief in die Fluten. Männer und Frauen fielen durcheinander. Der scharfe Bootskiel blitzte auf und grub sich in den langen, dunklen Hals des Sauriers.
Ein ohrenbetäubendes Brüllen erscholl. Der zähnestarrende Rachen des Sauriers klaffte zu den Wolken hoch. Sein gebogener Hals fuhr steil nach oben, während ein Blutstrahl aus der aufgerissenen Kehle schoß.
Zum zweitenmal erklang das donnernde Gebrüll, aber diesmal hatte es einen schrilleren Klang angenommen. Blut ergoß sich durch die Kehle des Sauriers und sprudelte aus dem aufgerissenen Rachen.
Zweimal peitschte der dunkle Hals das Wasser, ehe er in den aufgewühlten Wogen versank. Ein roter Fleck breitete sich kreisförmig auf den Fluten aus.
Das Boot richtete sich wieder auf und steuerte die Mole an.
9.
Kedre lachte und legte ihre Spielkarte auf den Tisch.
„Wie gelangweilt dieser Lotse während des ganzen Schauspiels gewirkt hat“, sagte sie. „Es würde mich nicht wundern, wenn Sam Reed den Saurier vorher draußen vor dem Hafen festgebunden hätte, um seinen Siedlern einen würdigen Empfang zu bereiten. Jetzt haben sie doch wenigstens etwas, wovon sie ihr Leben lang erzählen können.“
„Unterschätze Reed nicht“, erwiderte Harker ernst und führte wieder das Räucherfäßchen an die Nase. „Er würde selbst das oder etwas noch Gefährlicheres tun, wenn er einen Nutzen darin sähe. Er ist gefährlich, Kedre – nicht wegen seiner Findigkeit, sondern wegen seiner Unverantwortlichkeit.“
Kedre bewegte zustimmend ihren Kopf mit der glitzernden hochgetürmten Haarpracht.
„Du hast natürlich recht, und zum Lachen
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