TS 57: Die Irrfahrten des Mr. Green
und zerbrechlich gehalten, so erschien ihm die Rah nur noch wie ein Zahnstocher, der über einem bodenlosen Abgrund hing. Und da sollte er sich bis zu der hin und her tanzenden Nock schieben, wieder umkehren und dabei noch kämpfen!
Green setzte sich rittlings auf die Rahe, schlang die Beine um das Holz und schob sich langsam vorwärts. Auf halbem Wege hielt er inne und riskierte einen Blick nach unten. Dieser eine Blick genügte. Unter ihm, wohl fast eine Meile entfernt, wie ihm vorkam, erstreckte sich der harte, grasbewachsene Boden, huschte die flache Ebene vorbei und drehten sich die riesigen Räder.
„Los, weiter!“ schrie Ezkr.
Green wandte den Kopf und stieß einige handfeste Beleidigungen aus.
Ezkrs dunkles Gesicht rötete sich, und er erhob sich und begann auf die Rah hinauszuschreiten. Greens Augen weiteten sich. Dieser Mann brachte es doch wahrhaftig fertig!
Als er jedoch noch einen oder zwei Meter von Green entfernt war, blieb der Seemann stehen und sagte: „Nein, du willst mich nur reizen, damit ich mich hier draußen mit dir anlege und vielleicht hinuntergestoßen werde, weil du den besseren Halt hast. Nein, darauf falle ich nicht herein. Komm du nur erst wieder zurück.“
Damit machte er kehrt und schlenderte zum Mast zurück, gegen den er sich wartend lehnte.
„Du mußt bis zur nächsten Spitze kriechen“, wiederholte er. „Sonst hast du die Probe nicht bestanden. Selbst wenn du an mir vorbeikommen solltest, was dir natürlich sowieso nicht gelingen wird.“
Green biß die Zähne zusammen und schob sich weiter, bis er. seiner Ansicht nach, weit genug vorgedrungen war. Von der Nock trennte ihn höchstens noch ein halber Meter, aber jeder weitere Zentimeter, den er zurücklegte, konnte die Rah brechen lassen; sie bog sich bereits gefährlich weit nach unten durch.
Er rutschte zurück, brachte es fertig, sich umzudrehen und arbeitete sich bis auf knapp zwei Meter an Ezkr heran. Dort hielt er inne, um neuen Atem, Mut und Kraft zu schöpfen.
Der Matrose wartete. Mit der einen Hand hatte er ein Tau umklammert, das ihm sicheren Halt gewährte. Die andere hielt den Dolch, dessen Spitze auf Green gerichtet war.
Der Mann von der Erde begann seinen Turban loszuwinden.
„Was soll das?“ fragte ihn Ezkr voll plötzlicher Unruhe.
Green zuckte die Achseln, ließ sich aber bei seiner Beschäftigung nicht stören. „Ich möchte nichts verschütten, weißt du“, erklärte er dabei.
„Was verschütten?“
„Das hier!“ rief Green und schleuderte das lose Turbantuch nach oben gegen Ezkrs Gesicht.
Der Streifen selbst war nicht lang genug, um den Seemann zu erreichen. Dafür aber flog ihm der Sand in die Augen, den das Tuch enthalten und den Amra von dem Haufen neben der Feuerstätte besorgt hatte.
Ezkr schrie auf, griff sich an die Augen und ließ dabei den Dolch fallen. Im gleichen Moment rutschte Green nach vorn und stieß seinem Gegner die Faust in den Magen. Ezkr krümmte sich, und Green fing ihn auf und ließ seinem ersten Hieb einen kräftigen Handkantenschlag gegen den Nacken folgen. Ezkr verlor das Bewußtsein. Green wälzte ihn herum, so daß er mit dem Bauch auf die Rah zu liegen kam, auf einer Seite durch den Mast gestützt. Mehr wollte und konnte er im Augenblick nicht für ihn tun. Sein einziger Wunsch war, wieder auf Deck zu gelangen, um festen Boden unter den Füßen zu spüren.
Amra und Inzax warteten am Fuß der Wanten, als Green sich auf das Deck schwang. Seine Knie zitterten, und er fürchtete, jeden Augenblick zusammenzuklappen. Amra bemerkte seine Schwäche und schlang schnell ihre Arme um ihn, so, als wollte sie den siegreichen Helden umarmen, in Wirklichkeit aber wollte sie ihn stützen.
„Danke“, murmelte er. „Ich kann deine Hilfe gut gebrauchen, Amra.“
Im nächsten Moment war Green von den Männern und Frauen des Klans umringt, die ihm eifrig zu seiner Tat gratulierten und ihn Bruder nannten. Die einzigen, die sich nicht um ihn drängten, waren die Offiziere des Vogels und die Frau und Kinder des unglücklichen Ezkr. Sie enterten in die Wanten, um ihm ein Tau umzubinden und ihn herunterzulassen.
Aber es gab noch einen anderen, der sich abseits hielt: Grazoot, der Harfenspieler, der immer noch schmollend am Mastbaum lehnte.
Green sagte sich, daß er klug daran tun würde, diesen Mann im Auge zu behalten.
13.
Die nächsten zwei Wochen brachten Green, während er sich in den Pflichten eines Toppgastes unterweisen ließ, viel harte Arbeit und nur
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