TS 57: Die Irrfahrten des Mr. Green
wenig Schlaf. Er turnte auch jetzt noch nur äußerst ungern in der Takelage umher, entdeckte aber, daß man von dieser hohen Position aus einen unvergleichlich schönen Ausblick über die weite Ebene hatte, und dieser Blick lohnte alle Anstrengung und Gefahr.
Der Horizont lag so weit, die Ebene war so flach, wie Green das auf festem Land noch nirgends hatte beobachten können. Das dicke und saftige Gras, das den Boden bedeckte, wuchs mehr als einen halben Meter hoch und leuchtete in einem schimmernden hellen Grün, viel heller als irdisches Gras. Während der Regenzeit, so wurde ihm berichtet, überzog sich die Steppe mit unzähligen winzigen weißen und roten Blüten, die berauschend dufteten.
Während Green sich noch umblickte, bemerkte er eine verblüffende Erscheinung.
Wie abgeschnitten, als hätte am Tage vorher hier eine gigantische Mähmaschine ihr Tagewerk verrichtet, machte vor ihnen das hohe Gras plötzlich kurzgeschorenem Rasen Platz, und diese wenigstens eine Meile breite Rasenschneise zog sich vor ihnen her bis zum Horizont.
„Was hältst du davon?“ wandte sich Green an Grizquetr, seinen Pflegesohn, der mit ihm in dem Mastkorb saß.
Grizquetr hob die Schultern. „Ich weiß nicht ganz. Die Seeleute erzählen sich, es wäre das Werk eines Wuru. Das ist ein Tier so groß wie ein Schiff, das nur nachts zum Vorschein kommt. Es frißt Gras, ist aber so bösartig wie ein Wildhund, und wenn es in der Laune ist, greift es einen Roller an und zerdrückt ihn, als wäre er aus Pappe.“
„Und du glaubst das?“ fragte Green und betrachtete den Jungen prüfend.
„Ich weiß nicht. Vielleicht stimmt es wirklich, aber ich kenne niemand, der schon einmal ein Wuru zu Gesicht bekommen hat. Und wenn es schon nur bei Nacht zum Vorschein kommt, wo hält es sich dann bei Tage auf? So große Höhlen, wo es sich verbergen könnte, gibt es ja gar nicht auf der Xurdimur.“
„Sehr gut. Völlig richtig“, lobte Green ihn lächelnd. „Behalte deinen offenen Verstand. Glaube nichts, aber verurteile auch nichts, bevor du nicht feste Beweise für das eine oder andere in den Händen hältst. Und vergiß nie, daß neue Beweise die alten und anerkannten widerlegen können.“
„Schau doch!“ rief plötzlich der Knabe und deutete nach unten. „Eine Graskatze! Sie wollte vermutlich die Hoobers beschleichen und läuft jetzt Gefahr, von ihnen totgetrampelt zu werden.“
Greens Blick folgte der Richtung, die ihm der Finger wies. Er erkannte den langbeinigen, tigergestreiften Körper des Raubtiers, das sich in verzweifelten Sätzen vor den donnernden Hufen in Sicherheit zu bringen versuchte. Noch jagte es auf freiem Feld inmitten der blonden Herde entlang. Dann, von einem Augenblick zum anderen, hatte sich die Lücke in dem Strom der Pferde geschlossen, und die große Katze war verschwunden, Sie würde nur durch ein Wunder am Leben bleiben.
Plötzlich schrie Grizquetr: „Ihr Götter!“
„Was ist?“ fragte Green.
„Am Horizont! Ein Segel! Es hat die Form eines Vingsegels!“
Auch andere hatten es bemerkt. Laute Rufe klangen über das Deck. Ein Trompeter blies Alarm. Mirans Stimme übertönte das Geschrei, während er seine Befehle durch ein Megaphon schrie. Das scheinbare Durcheinander löste sich in Ordnung auf, während ein jeder auf den ihm zugewiesenen Platz eilte. Die Tiere, alle Kinder und der größte Teil der Frauen wurden unter Deck geschickt. Die Kanoniere legten Kartuschen und Munition bereit. Die Musketenschützen schwärmten die Wanten hoch. Alle Toppgäste enterten auf und nahmen ihre Plätze ein. Da Green sich schon auf dem seinen befand, konnte er in Muße den Gefechtsvorbereitungen zuschauen. Er sah, wie Amra ihre Kinder mit einem hastigen Kuß verabschiedete, sich vergewisserte, daß sie unter Deck gingen und dann Tuchstreifen und Bandagen und Ladepfropfen zu zerreißen begann. Einmal richtete sie sich auf und winkte ihm zu. Er winkte zurück und mußte dafür einen scharfen Verweis vom Bootsmann einstecken.
„Eine Extrawache für dich, Green, wenn alles vorüber ist“, schrie er ihm zu. Green stöhnte auf und hielt nur mit Mühe einen Fluch zurück.
Es wurde Nachmittag, bis auch der Rumpf des fremden Schiffes über der Kimm in Sicht gekommen war. Dahinter tauchte ein zweites Segel auf, und die Spannung unter der Mannschaft verstärkte sich. Jetzt war keine Täuschung mehr möglich; sie wurden von Ving verfolgt, denn Ving jagten immer zu zweien. Auch die Form der Segel, die unten schmaler
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