TS 69: Im Kosmos verschollen
bestenfalls bemitleidet. Hier galten die gleichen ungeschriebenen Gesetze, die auch auf der Erde nicht gebrochen werden durften: die Gemeinschaft mußte aus Gleichen bestehen. Kein Wesen aus Kara würde auf der Erde eine bessere Behandlung erfahren. Wilde, unzivilisierte Stämme würden diese Heuschreckenmenschen jagen und töten, nur weil sie anders waren. Die Wissenschaftler würden sich dieser interessanten Studienobjekte bemächtigen und genau das gleiche tun, was die Wissenschaftler von Kara mit uns taten.
Ich konnte die Menschen, oder besser gesagt, die Bewohner von Kara nicht einmal tadeln. Allmählich lernte ich sie besser kennen und erkannte, daß auch sie über einen gewissen Sittenkodex verfügten und einen hohen moralischen Standard hatten. Am merkwürdigsten war die Stellung der verschiedenen Geschlechter zueinander. Nur männliche Wesen näherten sich den Hermaphroditen, während die Hermaphroditen mit den weiblichen Mitgliedern dieser Gesellschaft verkehren durften. Außerdem gab es noch einige Untergruppen, denn nicht alle Hermaphroditen und weiblichen Wesen waren die gleichen. Es gab Unterschiede, die ich noch nicht erkennen konnte. Alles war so fremd und schwer zu begreifen, daß ich manchmal verzweifelte.
Und auf diesem Planeten mußte ich leben. Ich konnte ihn nicht verlassen, ohne die Erde zu verraten. Aber auch Eve mußte in dieser Gemeinschaft aufwachsen. Sie wurde von den grünen Wesen aufgezogen und mußte naturgemäß deren Sitten und Gebräuche annehmen.
Manchmal durfte ich sie sehen, aber immer nur für kurze Minuten. Ich mußte Geduld haben, viel Geduld. Mein Ziel war es, ihr zu gegebener Zeit von der Erde zu berichten. Aber bis dahin würde noch sehr viel Zeit vergehen. Eve war noch ein Kind, ein Säugling. Sie mußte erst heranwachsen und geistige Kräfte entwickeln. Bis dahin mußte ich wie ein Tier vegetieren, Tag für Tag, Monat für Monat. Immer wieder grübelte ich über die im Dunkel liegende Zukunft. Würde Eve mich überhaupt begreifen? Lange Jahre würden vergehen, ehe ich mit meiner Erziehung beginnen konnte. Vielleicht würden die Grünen das auch unterbinden. Ich konnte nur warten, immer nur warten und hoffen.
21.
Trotz der enormen Schwierigkeiten verging die Zeit rasend schnell. Eve wuchs heran und begann zu sprechen. Sie war in der Etage über mir untergebracht. Sie hatte einen Dachgarten, den sie jederzeit betreten durfte. Auch ich durfte ab und zu bei ihr sein und mit ihr spielen. Oft saßen wir dann auf der Einfassung des Dachgartens und blickten auf die Stadt hinab. Eve fühlte sich recht wohl. Sie war ein lebhaftes, aufgewecktes Kind und begriff recht schnell, was ich ihr beizubringen versuchte. Stundenlang tollte sie im Garten umher, pflückte Blumen oder pantschte in dem kleinen Fischbecken herum.
Sie sorgte selbst für die kleinen Fische. Ich sah darin den Beweis, daß sie sich gut eingelebt hatte. Selbst die Wissenschaftler gehorchten ihren kindlichen Befehlen und erfüllten ihr fast alle Wünsche. Im Gegensatz zu mir war es ihr gelungen, ihre Umgebung zu kontrollieren.
Ich setzte mich an den Rand des Beckens und zeigte auf die Fische. „Was ist ein Fisch, Eve?“
Sie lachte und blickte auf die dicht unter der Wasseroberfläche dahingleitenden zahmen Fische.
„Ein Fisch ist eben ein Fisch“, sagte sie leichthin.
„Nicht nur das. Die Fische sind unsere Vorfahren. Als das Meer zurückging, krochen sie an Land und entwickelten sich zu immer höheren Formen.“
Eve nickte ungeduldig. „Das hast du mir schon oft erzählt, Daddy. Woher weißt du das eigentlich?“
Es war eine der vielen schwierigen Fragen, die ich beantworten mußte. Eve war eben ein Kind und mußte sich durch unausgesetztes Fragen ein Weltbild schaffen. Leider war ich der einzige Mensch, an den sie ihre Fragen Hellten konnte. Ich konnte nur hoffen, mich klar genug auszudrücken. Immerhin wußte ich verzweifelt wenig von der Vielfalt der irdischen Zivilisation. Das war eben der Fluch der Spezialisierung.
„Unsere Leute fangen die Fische, schneiden sie auf und untersuchen die Organe. Auf diese Weise kommen sie zu bestimmten Schlüssen.“
Sie sah mich nicht an und fütterte ihre Fische. „Das stimmt nicht“, sagte sie mit merkwürdiger Bestimmtheit.
„Aber ich werde dir doch keine Unwahrheiten erzählen, Eve.“
Sie hörte die Eindringlichkeit meines Einwandes heraus und sah mich an.
„Die Wissenschaftler von Kara sind anderer Meinung, Daddy. Du sagst, daß die Fische
Weitere Kostenlose Bücher