TS 69: Im Kosmos verschollen
wurden. Ständig wird experimentiert, ständig werden neue Erkenntnisse gewonnen. Alles ist im Fluß, alles ist Entwicklung. Was heute absolut richtig erscheint, wird morgen als Irrtum erkannt.“
Iphyla dachte angestrengt nach. „Ich glaube, ich verstehe jetzt. Die Begriffe, die du uns erklärt hast, sind eigentlich nur Symbole für den jeweiligen Stand der Erkenntnisse und haben keine ewige Gültigkeit.“
Ich hatte das Gefühl, in einem bodenlosen Sumpf zu versinken. Die Unterschiede zwischen mir und meinen Gastgebern waren zu groß. Wenn sie auch die Dinge anders sahen, konnten sie die Technik doch beherrschen. Sie wollten eigentlich keine Abstraktionen hören, sondern handfeste technische Erkenntnisse gewinnen. „Unsere Vorgesetzten wären sehr glücklich, wenn du uns endlich die Funktion eurer Radiosender erklären würdest“, sagte Thasala rundheraus.
Ich saß wieder einmal in der Falle. Ich mußte reden, mußte allerlei interessante, aber im Grunde unwichtige Neuigkeiten auftischen. Zum Glück dauerte es immer sehr lange, ehe meine Gesprächspartner merkten, daß ich sie auf Abwege führte. Sie waren durchaus nicht dumm, aber sie hatten eben ein völlig anderes Weltbild und konnten sich nur schwer und widerstrebend mit meinen Anschauungen vertraut machen. Durch das Fenster konnte ich die Stadt sehen. Mein Leben war ein ständiger Kampf geworden. Es war wie ein leichtsinniger Drahtseilakt in schwindelnder Höhe. Ich mußte stets die Balance wahren. Die Bewohner von Kara durften uns nicht als unwissende Tiere in die Käfige sperren, aber ich durfte auch nicht mehr sagen, als ich es ohne nennenswerte Gefahr für die Erde tun konnte. An Thasalas und Iphylas Verhalten konnte ich aber ablesen, daß meine Lage immer schwieriger wurde. Die beiden waren höflich und zuvorkommend, aber sie wurden ihrerseits bedrängt und bemühten sich immer intensiver, endlich konkrete Ergebnisse zu erzielen.
23.
Eines Abends kam Eve in mein Zimmer. Ich wußte nicht, wie sie das möglich gemacht hatte. Anscheinend wurde sie nicht mehr so streng bewacht. Ich hatte sogar gehört, daß sie schon in der Stadt gewesen war. Sie war nun dreizehn Jahre alt, also in einem gefährlichen, schwierigen Alter. Ich sah mit Befriedigung, daß sie sich physisch durchaus nicht von irdischen Mädchen ihres Alters unterschied. Körperlich stand sie auf der Schwelle der Reife, aber geistig hatte sie die Grenze längst überschritten. Wahrscheinlich lag es daran, daß sie in zwei geistigen Welten beheimatet war. Ich vertraute ihr völlig, obwohl ich wußte, daß der Einfluß der anderen Lehrer dem meinen mindestens gleichwertig war.
Sie sah mich mit ihren blauen Augen leicht belustigt an und sagte leichthin: „Thasala hat mich beauftragt, Erkundigungen über die genaue Position der Erde einzuziehen.“
Ich war überrascht.
„Machen sie solche Vorschläge oft?“
„Natürlich, David.“
„Und warum hast du mir nie etwas gesagt? Warum nennst du mich überhaupt David, statt Vater?“
„Das ist auch einer von Thasalas Vorschlägen. Er ist der Meinung, daß wir früher oder später Kinder haben müssen. Nur so kann unsere Art erhalten bleiben und weiterhin beobachtet werden. Er sagte, das sei in allen Laboratorien und zoologischen Gärten so üblich.“
Ich schwieg. Ich war so schockiert, daß mir keine passende Erwiderung einfiel. Mit allem hatte ich gerechnet, nur damit nicht. Wie sollte ich Eve erklären, wie unmöglich dieser Plan war?
„Es ist eben nicht einfach, dir alles zu sagen, David“, fuhr Eve fort. „Ich hätte es dir gar nicht sagen sollen.“
„Doch, das mußtest du tun.“
Eve drückte sich zärtlich an mich. „Gibt es wirklich Dinge, über die wir beide nicht sprechen können, David? Auf jeden Fall können wir unsere Gastgeber nicht tadeln, weil sie sich Gedanken um unsere Zukunft machen. Sie haben eben ihre eigene soziale Ordnung und können dich nicht verstehen. Was für dich eine Beleidigung ist, ist für sie eine Selbstverständlichkeit. Sie erwarten, daß du für die Erhaltung unserer Art mit den überkommenen Sitten brichst.“
Es fiel mir nicht leicht, die Beherrschung zu wahren. Ich durfte ihr nicht böse sein, denn das würde sie nur von mir trennen. Außerdem war sie in einer fremden Umgebung aufgewachsen und konnte unmöglich wissen, in welche Qualen sie mich stürzte.
„Wir werden später darüber reden, Eve“, versuchte ich abzulenken. „Du bist noch viel zu jung, um dich mit solchen
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