TS 72: Das Erbe von Hiroshima
schon auf dem Atlantik.
Nur einen Brief schrieb sie, und der war an Lex Harnahan adressiert. Sie legte ihn zusammen mit dem Ring in ein Päckchen und gab es ihrer Mutter.
„Bringe es morgen zur Post. Lex wird am Samstag oder Sonntag bestimmt hier auftauchen. Ihr werdet ihm doch mit keinem Wort verraten, wo ich bin? Er könnte sich erkundigen – aber er weiß ja nicht, welchen Hafen ich nehme. Trotzdem, seid vorsichtig. Ich möchte ihn nicht auf meinen Fersen wissen. Ich benötige unbedingte Ruhe für mein – für mein Studium.“
Und dann ging alles sehr schnell. Die Eltern brachten sie noch am gleichen Abend zum Zug, erhielten das heilige Versprechen, sofort von ihr zu hören, und dann tauchte Ann Britten unter.
Sie verschwand aus Richmond und hinterließ keine Spur. Auch Lex brachte an diesem Wochenende nichts aus ihren Eltern heraus, obwohl er ihnen den Brief zeigte, den Ann geschickt hatte. Die krassen Gegensätze ihrer Einstellung, schrieb sie, ließen es nicht zu, daß man sich binde. Sie bat ihn, ihr ein guter Freund zu bleiben. Vielleicht hörte man eines Tages wieder einmal voneinander – lauter so dummes Zeug, seiner Meinung nach.
Bob Britten gab ihm den Brief zurück.
„Sie hätten Ann besser kennen müssen“, sagte er ernst. „Nun ist sie auf und davon.“
„Wohin – ich möchte es wissen. Sagen Sie es mir. Ich verspreche Ihnen, nur zu schreiben.“
„Wir halten unsere Versprechen“, entgegnete Bob Britten mit eigenartiger Betonung, die Lex sofort verstand. Er wurde rot.
„Es war reiner Zufall, daß Anns Name bekannt wurde. Der Autounfall …“
„… hätte nichts zu sagen gehabt, wenn Prexler nicht durch Sie einiges erfahren hätte, das wollten Sie doch sagen, oder?“
Lex erhob sich.
„Darf ich später einen Brief für Ann bei Ihnen abgeben? Sie werden ihr doch schreiben?“
„Vielleicht“, wich Bob aus.
Lex verabschiedete sich.
Am Dienstag, als Ann schon weit auf dem Atlantik schwamm, leitete der Professor seine Kampagne ein. Er ließ einen Artikel veröffentlichen, in dem er ihren Namen nannte und sie der Verantwortungslosigkeit beschuldigte.
Die Reporter stürmten Brittens Haus – aber der Vater der Gesuchten warf sie wütend aus dem Vorgarten. Er drohte, die Polizei um Schutz zu bitten, wenn sie nicht sofort verschwänden.
Das half.
Unbemerkt jedoch ging die Jagd nach Ann Britten weiter, und der treibende Keil hinter der Aktion war niemand anders als Professor Prexler und – Lex Harnahan, wenn auch beide aus verschiedenartigen Motiven.
Einige Wochen lang brachten die Zeitungen aufregende Berichte über die merkwürdigsten Phänomene. Das bisher recht unbeachtet gebliebene Institut Prexlers rückte in den Mittelpunkt des allgemeinen Interesses, bis plötzlich eine Pressestimme die Vermutung laut werden ließ, das Ganze sei nur ein Reklametrick des Professors, der seinen Forschungen den Anstrich des Lächerlichen nehmen und nun einen lebenden Beweis für die Richtigkeit seiner Theorien heranschaffen wolle. Und da sei ihm die Tochter des Wissenschaftlers Britten gerade recht, von der man nicht wisse, wo sie sei.
Es begann ein heftiger Disput zwischen Prexler und dem Anonymus, in dessen Verlauf Ann Britten so gut wie in Vergessenheit geriet.
Die Brittens atmeten auf.
Bis eines Tages Besuch kam.
Bob war gerade nach Hause gekommen und hatte den ersten Brief Anns gelesen, der von ihrer glücklichen Ankunft in London berichtete. Sie habe sofort eine Anstellung in einem größeren Hospital gefunden und könne nebenbei noch Vorlesungen besuchen. Der Brief trug den Absender Elionore Smith und eine Postfachnummer.
Es klingelte. Bob vernahm die Stimme eines Mannes, der ihn zu sprechen wünschte. Marry ließ den Fremden ein.
Es war nichts Auffälliges an ihm. Sein grauer Anzug sah aus, als sei er von der Stange gekauft. Das weiße Hemd und die dezente Krawatte verrieten einen guten Geschmack. Lediglich die Schuhe machten einen wenig gepflegten Eindruck.
Aus dem Gesicht heraus sahen Bob zwei graue, harte Augen entgegen, die Unnachgiebigkeit und Zielbewußtheit ausdrückten. Die schmale Nase stand über dem genauso schmalen Mund. Das Kinn war eckig und energisch.
Alles in allem ein Typ, mit dem nicht zu spaßen war.
Er trat Bob entgegen, als dieser sich erhob.
„Verzeihen Sie meinen unerwarteten Besuch, Mister Britten, aber ich hatte keine Gelegenheit, mich anzumelden. Mein Name ist Drake, Jeremy Drake. Hier, meine Karte.“
Bob nahm sie und blickte nicht einmal
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