TS 83: Der Mann, der ein Roboter war
zog seine Kombination auseinander und deutete auf den Strahler in der Innentasche. „Ich könnte Sie jetzt damit bedrohen und fliehen, nicht wahr, Orlow? Was würde das einbringen? Nun, erstens, Zeit bis zu Corells Prozeß. Zum anderen: ich könnte versuchen, de Vaals Mörder zu finden. Wo ich suchen muß, glaube ich zu wissen. Ich wäre dann rehabilitiert und …“ Keith lächelte. „… Ihr Ende wäre verhindert. Übrigens … inwiefern bedeutet meine Verhaftung Ihr Ende?“
Orlow winkte ab. „Das ist jetzt unwesentlich. Wie wollten Sie hier herauskommen? Das Gebäude wird scharf bewacht.“
„Ich bin ja auch hereingekommen.“
„Gut, Dr. Keith, Sie sollen Ihre Chance haben. Außerdem ist es auch meine, meine letzte.“ Er griff in ein Fach seines Schreibtisches und legte einen kleinen Plastikbeutel vor Keith hin. „Mein alter ego“, sagte er leise.
„Danke, Orlow! Aber seien Sie gewiß, eine Absage von Ihrer Seite hätte zur gleichen Situation geführt.“ Er klopfte mit der flachen Hand auf die ausgebeulte Kombination. „Mir liegt wirklich sehr viel daran, nicht verhaftet zu werden.“
Mit wenigen Handgriffen zog er die zusammengefaltete Humanoiden-Kombination über und verschloß die magnetischen Streichverschlüsse. Aus dem Plastikbeutel nahm er ein Paar Handschuhe und färbte sich mit zwei Schwämmchen das Gesicht. Seine eigene Perücke zog er ab und steckte sie in die Montur. Die schwarzen Perückenhaare Orlows veränderten ihn so, daß die Haftschalen für die Augen gar nicht nötig gewesen wären. Aus einer der Monturtaschen zauberte er ein Iridiumplättchen, das – auf der Stirn befestigt – nicht von den Kennzeichen der Humanoiden zu unterscheiden war.
„Genügen Ihnen fünfzig Sekunden Vorsprung?“ Orlow schaute auf die Wanduhr.
„Durchaus.“
„Viel Erfolg, Keith!“
Der Gang war leer. Ein Fall-Lift bremste sanft zehn Sekunden später, und gelassen ging Keith am Saal der ständigen Bereitschaft vorbei. Der wachhabende Offizier trat hastig auf ihn zu, wandte sich aber gleichgültig wieder ab, als er das Zeichen auf Keiths Stirn sah.
Vor dem Portal warteten eine ganze Reihe Turbotaxen. In das Singen der hochtourig arbeitenden Maschinen mischte sich das schrille Heulen der Alarmsirenen. Die Robotfahrer schienen es nicht zu registrieren.
*
Betty stutzte einen Augenblick, für einen ungeschulten Beobachter kaum merklich, dann trat sie näher und reichte Keith die Hand.
„Ihre Maske ist ungewöhnlich gut, Dr. Keith. Aber einen Humanoiden werden Sie nie länger als einige Sekunden täuschen.“
„Guten Morgen, Betty! Meine Maske ist auch nur für Menschen gedacht.“
„Besteht ein ungesetzlicher Grund dafür?“
„Ja. Man verdächtigt mich des Mordes und fahndet nach mir. Ich bin hier als defekter Humanoid hereingekommen.“
„Besteht der Verdacht zu Recht?“
„Die Umstände rechtfertigen ihn einigermaßen. Aber ich habe niemanden ermordet.“
„Das ist gut. Informieren Sie mich bitte.“
Keith tat es. „Sie glauben mir?“ fragte er dann ernst.
„Ja, Dr. Keith.“
„Warum?“
„Ist das eine dienstliche oder eine private Frage?“
„Überwiegend privat.“
Betty lächelte. „Dann möchte ich Ihnen keine Antwort geben“, sagte sie.
„In meinem Interesse?“ fragte Keith neugierig.
„Dr. Keith, Sie wissen genau, daß ich keinerlei Interessen habe.“
„Fast möchte ich es bedauern“, lächelte Keith. „Aber kommen wir zum Dienstlichen. Haben sich irgendwelche Argumente ergeben, die unseren Antrag fehlschlagen lassen könnten?“
„Bisher ergab sich kein Gesichtspunkt, dem ich nicht ein überzeugendes Argument entgegensetzen konnte.“
„Das ist gut, Betty. Aber zur Sicherheit bitte ich Sie um folgendes: Sammeln Sie alle Gesichtspunkte, die unserem Antrag entgegenstehen, betrachten Sie alle unsere Argumente mit den Augen des Gegners, und versuchen Sie, sie zu zerpflücken. Das Ergebnis liefern Sie bitte schriftlich bis morgen früh bei mir ab.“
„Geht in Ordnung, Dr. Keith!“ Betty zog ihre Antenne ein wenig aus und schloß für einige Sekunden die Augen.
Keith wußte, daß sie in den Augenblicken der Korrespondenz mit dem Positronengehirn möglichst nicht gestört werden wollte und schwieg.
Erst als sie ihre Antenne wieder zusammenschob, fragte er weiter. „Betty, ich möchte unseren Fragenkomplex noch unter einem anderen Kriterium betrachten. Meine Frage dazu: Gibt es einen ganz entscheidenden Unterschied zwischen Mensch und
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