TS 88: Das Ende der Zeitreise
„ritt“ die Manitoba auf ihm, während die Gyrotrone automatisch die Balance hielten. Der Frequenzmodulator des Dauerstrich-Feinhöhenmessers bewies mir, daß die Sinkgeschwindigkeit sich nahezu dem Werte Null genähert hatte.
Aus zehn Kilometer Höhe traf der Triebwerksstrahl mit ungeheurer Wucht auf die Mondoberfläche und wurde sofort an seinem Effekt erkennbar. Ein wahrer Hexenkessel an davonschießendem und aufwirbelndem Staub breitete sich gespenstisch lautlos ringförmig nach allen Seiten aus. In drei Kilometer Höhe ließ ich die Teleskopstützen ausfahren.
Dann tauchte die Manitoba in den Staub. Sofort verdunkelten sich die Bildschirme, aber nur, um automatisch auf die Mikrowellentaster umzuschalten, die ein flimmerndes, dreidimensionales Bild des Landeplatzes schufen. Die grellbeleuchtete Ebene des Mare Imbrium schien in die Zentrale zu stürzen; das Vibrieren der Triebwerke erlosch. Wie ein beruhigendes Blinkfeuer flackerte die Lampe über der Instrumentenbühne auf und zeigte die Bodenberührung an. Wir waren gelandet.
*
Ich riß die Steuerhebel des Gleiskettenfahrzeuges herum und trat auf die elektromagnetische Bremse. Der Wagen beschrieb eine enge Kurve und hielt dicht neben dem finster drohenden Schlund des Kraters. Keiner sagte ein Wort; aber wie auf Kommando drehten sich aller Köpfe nach schräg oben, wo die grünlich leuchtende Sichel der Erde stand. Keine Wolken verdeckten das Bild, denn es gab keine mehr. Das Mondmoos speicherte alle Feuchtigkeit wie ein Schwamm planetarischen Ausmaßes und ließ die Atmosphäre austrocknen. Besorgt schaute ich zu Peggy. Doch sie war wohl über den Punkt hinaus, an dem die seelische Kraft zum Fühlen erlischt und hatte sich damit abgefunden, daß sie von ihrer Familie getrennt war, vielleicht auf ewig.
Als einziger Ortskundiger, führte ich die Expedition an. Der Abstieg war keineswegs ungefährlich. Schon vor dem Großen Atomkrieg hatte man von der Erde und von Mondsatelliten aus die für den Krater Timocharis charakteristischen Nebelschwaden beobachtet. Die Vermutung, daß es sich um die Resttätigkeit eines erloschenen Vulkans handelt, hatte sich später bestätigt. Die Nebelschwaden waren eine Sekundärerscheinung des Vulkanismus und bestanden aus einem Gemisch giftiger Dämpfe. Von Zeit zu Zeit drangen sie bis an die Oberfläche empor. Sie brauchten allerdings von uns nur als vernachlässigbarer Faktor einberechnet zu werden, denn im Endeffekt spielte es keine Rolle, ob ein undicht gewordener Raumanzug zum Tode durch Ersticken infolge Luftmangels oder infolge giftiger Gase führte.
Nun standen wir am äußersten Rande des Kraters. Die Schatten der Steilwand verbargen die am Grunde brodelnden Dämpfe. Sie verbargen aber auch die Staubhalden, die einzig und allein uns gefährlich werden konnten. Ein Mensch, der seinen Fuß versehentlich daraufsetzte, büßte dieses Versehen mit dem Tode. Trotz der geringen Mondschwerkraft – eines Sechstels der irdischen – käme nämlich ein aus dreißig Meter Höhe abstürzender Mensch mit einer Geschwindigkeit von zehn Meter pro Sekunde unten an. Der Tritt auf eine Staubhalde aber bedeutete einen Sturz in über zweitausend Meter Tiefe!
Zwischen rundgeschliffenen Basaltblöcken tasteten wir uns hinab. Die Nylonleinen, die uns miteinander verbanden, sollten den Absturz eines einzelnen verhindern. Das Ziel war nicht zu verfehlen. Eine terrassenförmige Ausbuchtung ragte etwa achtzig Meter in den Kraterschlund hinein; und die von beständigen Temperaturschwankungen und Meteoritenschauern geglättete Oberfläche schimmerte hell im Erdlicht.
Nach zehn Minuten hatten wir das Plateau erreicht. Aufatmend stellten meine Schützlinge ihr Gepäck ab und befreiten sich von der Leine. Nur Ben zögerte noch. Ich bemerkte seinen fragenden Blick und nickte ihm aufmunternd zu. „Hier ist es, Ben.“
„Wie lange ist es her, daß du …?“
„Drei Jahre. Aber ich bin sicher, daß sich in dieser Zeit nichts geändert hat.“ Wenigstens nicht auf dem Mond, setzte ich in Gedanken hinzu. Damit drehte ich mich um, schritt hinaus in die strahlende Helligkeit und näherte mich dem Rande des Plateaus. Dort blieb ich stehen. „Geht bitte nicht zu nahe heran. Die Felsplatte hängt stark über, und das Material, aus dem sie besteht, ist porös und bröckelt schnell ab. Am besten wird es sein, ihr legt euch flach auf den Boden!“ Ich zeigte ihnen, was ich meinte und kroch die letzten Meter auf dem Bauch. Die Finger tasteten
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