TS 88: Das Ende der Zeitreise
abschaben mußte. Der inzwischen verstorbene Professor Segovia hatte versucht, Kulturen im Labor des Mondschiffes zu züchten. Als er damit keinen Erfolg erzielte, lag der Gedanke nahe, diesen im Vakuum lebenden Organismus zwecks gründlicher Untersuchung zur Erde zu bringen. Wäre dieser Gedanke doch nie in Segovias Hirn aufgetaucht!
In den ersten beiden Jahren wurde das Mondmoos in Vakuum-Kammern gehalten. Dann versuchte man, es nach und nach an Terrabedingungen zu gewöhnen.
Mit außerordentlichem Erfolg!
Das Moos nahm eine grüne Färbung an, ohne daß man jedoch die Analyse Chlorophyll nachweisen konnte. Wovon es sich ernährte, war überhaupt bis heute ein Rätsel geblieben. Zwar vermochte es Wasser aufzunehmen, aber es verbrauchte es nicht, sondern speicherte es nur in dehnbaren Zellzwischenräumen. Auch benötigte es zu seinem komplizierten Stoffwechsel weder Sauerstoff noch Kohlendioxyd. Trotzdem entwickelte es sich auf der Erde – außerhalb von Vakuumkammern und anderen hermetisch abgeschlossenen Behältern – weit besser als auf dem Mond.
Die etwa zwanzig Zentimeter hohen, halbkugelförmigen grünen Polster erfreuten sich bald zunehmender Beliebtheit. Nach kurzer Zeit gab es kaum noch einen Park oder Ziergarten, in dem nicht einige der Mondgewächse in kleinen Gruppen standen und die Phantasie der Betrachter beflügelten. Ganze Romanserien wurden dem Mondmoos gewidmet. Lewis Crown, der Bestseller-Autor, ging allerdings in den Augen seiner Leser zu weit. Er schilderte den ganz offensichtlich harmlosen kosmischen Boten als tödliche Gefahr für die Menschheit – und erntete Spott.
Heute, kaum zwei Jahre nach Erscheinen seines „Messenger of Death“, war die grausige Vision Crowns von der Wirklichkeit weit überflügelt worden. Niemand, auch nicht die wissenschaftlichen Teams, die das neue Phänomen mit Interesse studierten, erblickte in dem unverhofften Sporenflug irgendeine Bedrohung. Erst, als die neue Generation des Mondmooses sich lawinengleich über den Erdball ausbreitete, erkannte man die furchtbare Gefahr. Doch da war es schon zu spät.
Alle Anstrengungen vermochten nicht zu verhindern, daß sich die Oberfläche der Erde mit einem haushohen, schnellwachsenden, grünen Teppich überzog. Selbst die Meere wurden von den Küsten aus unterwandert. Städte mußten geräumt werden; und die Menschen befanden sich beständig auf der Flucht. Der Hunger kam dazu. Obwohl man alle Reserven der Nahrungsmittel-Synthese mobilisierte, verhungerten im ersten Jahr nach der Ausbreitung insgesamt siebzig Millionen Menschen. Im zweiten Jahr überstieg die Zahl der Opfer diejenige, die vor knapp neunzig Jahren der Große Atomkrieg gefordert hatte. Und ein Ende war nicht abzusehen.
Unmöglich, die grauenhaften Szenen zu beschreiben, die sich überall auf der Erde abspielten. Und der Höhepunkt des Dramas kam erst noch. Jetzt drohten selbst die Hefekulturen zu versiegen. Das Mondmoos ergriff, wenn auch langsamer als anderswo, mit der Unabwendbarkeit eines göttlichen Vollzugs von den Kulturanlagen Besitz. Es war Ben Cardigan, ein Neffe jenes prophetischen Autors und zugleich ein fähiger Zellularpathologe, der die These aufstellte, ein Organismus müsse dort, wo er beheimatet sei, auch natürliche Widersacher haben. Das war das Signal zu unserer Expedition gewesen.
Fünf Menschen hatte man bestimmt, den natürlichen Feind des Schwarzen Mooses zu suchen, zu finden und zur Erde zu bringen. Ben Cardigan selbst leitete die Expedition. Augenblicklich hockte er, in sich zusammengesunken, über dem Bildschirm des Mikrofilmprojektors.
Jetzt sah er auf und wandte mir sein schmales, blasses Gesicht zu. „Wann landen wir, Andrew?“ fragte er leise.
Ich schickte einen schnellen Blick zur Instrumentenbühne. „Wir sind in zwanzig Minuten unten, Ben. Nach etwa fünf Minuten beginnt das Umlenkmanöver. Ihr könnt euch schon darauf vorbereiten!“
Noch bevor ich, an der Haltestange entlanggleitend, den Sitz des Piloten erreicht hatte, konzentrierten sich meine Sinne auf das bevorstehende Manöver, von dessen Gelingen eine weiche Landung immer noch abhing – auf die Schwenkung des Hecks zur Zieloberfläche. Schlafwandlerisch zugreifend, ließ ich die Lehne des Konturensessels nach vorn gleiten und in die Gelenke einrasten. Die breiten Haltegurte preßten sich fest um den Körper; und der große Druckhelm schnappte hörbar in die elektromagnetischen Hermetikdichtungen ein. Nahezu selbständig nahmen die Finger einige
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