TS 90: Die dritte Chance
Vortragsreise. An den Kommentaren konnte Fabian erkennen, daß der Professor seine Taktik kaum geändert hatte. Er wetterte immer noch gegen die Atombombengegner und vertrat seine alte Ansicht, daß nur das Gleichgewicht der Zerstörungskräfte den Frieden erhalte. Vielleicht hatte er damit sogar recht, aber seine These war keine Garantie dafür, daß nicht doch eines Tages die eine oder andere Seite die Geduld – oder die Nerven – verlor.
Noch sechs Monate blieben Fabian.
Er stand allein in der Montagehalle und betrachtete das Modell des Raumantriebes. Es funktionierte bereits auf dem Prüfstand und entwickelte eine erstaunliche Schubkraft, wie man sie von einem Strahltriebwerk in dieser Form nicht erwartet hatte. Fabian war sich bewußt, daß diese Verbesserung sein Werk war. Nur durch seine Spiegelreflektoren war es möglich, den ausströmenden Partikelstrahl so zu verdichten und intensivieren, daß seine Kraft eine Rakete vom Boden abheben konnte.
Noch sechs Monate, dachte Fabian. Eigentlich gehört dieser Motor mir. Ich habe ihn nach den Plänen Weißbergers entwickelt, aber ohne meine Reflektoren würde er keine Rakete zehn Meter hoch steigen lassen. Er läuft mit einem Stück Blei – jahrelang mit unverminderter Energie. Mit einem Stück Blei kann ich den Mars erreichen – oder den Sirius. Zeit habe ich, wenn die Erde nicht mehr existiert. Ich brauche den Motor nur zu stehlen – er ist ja nicht groß. Ich baue ihn in eine Rakete ein – und ich kann der drohenden Vernichtung entfliehen.
Er schüttelte den Kopf.
Welche phantastischen Ideen er hatte! Schon der Diebstahl des Motors war eine glatte Unmöglichkeit – genauso unmöglich, dachte er, wie wenn Weißberger seine Todesbomben aus den Arsenalen holen wollte. Und wo sollte er eine Rakete herbekommen? Nein, er mußte sich den Fluchtgedanken aus dem Kopf schlagen, so verlockend er auch sein mochte. Er hatte eine Aufgabe. Das Schicksal hatte sie ihm gestellt, und er wäre ein Feigling, wollte er sich ihr entziehen.
Eilende Schritte rissen ihn aus seiner Versunkenheit. Es war Dr. Fellinger, sein erster Assistent. Was wollte denn der noch hier, so spät nach Feierabend?
Fabian löste sich vom Anblick des kleinen und wunderbaren Motors und wandte sich Fellinger zu, der eben die Halle betrat, seinen Vorgesetzten entdeckte und schnell auf ihn zuging.
„Haben Sie schon gehört, Fabian? Professor Weißberger …“
„Was ist mit Weißberger? Kommt er zurück, früher als wir dachten?“
Fellinger schien überrascht.
„So wissen Sie es also wirklich noch nicht? Mein Gott, es ist furchtbar. Wie konnte das nur geschehen …?“
„Mann, so reden Sie doch endlich! Ich habe keine Ahnung, was geschehen ist. Was ist mit Weißberger?“
„Er ist tot, Fabian. Während einer Demonstration gegen die atomare Bewaffnung wurde er von einer Kugel getroffen und …“
„Tot?“ Es war Fabian, als stürze die ganze Welt auf ihn. Weißberger, der einzige Mensch, der sein Geheimnis kannte – tot? „Weißberger ist tot?“
„Man hatte ihn gewarnt, dorthinzugehen, weil schon öfter Gewalttätigkeiten vorgekommen waren. Der Täter war ein sogenannter Friedenskämpfer.“
„Ein Kämpfer für den Frieden – und ein Mörder?“ Fabian schüttelte den Kopf. „Woher haben Sie die Neuigkeit?“
„Fernsehen. Ich traf den General auf meinem Weg hierher. Ich soll Ihnen sagen, daß Sie Weißbergers Abteilung übernehmen sollen.“
Fabian war es, als träume er. Sein einziger Verbündeter war tot, und jetzt bürdete man ihm eine Verantwortung auf, die er niemals zu tragen vermochte. Nicht mit seinem Wissen um die Zukunft.
4.
Der Mann in Zivil machte ein zweifelndes Gesicht.
„Mein lieber Doktor, ich glaube Ihnen ja gern, daß Sie mehr von der Materie verstehen als ich, der ich nur Politiker und vielleicht ein wenig Kriminalist bin, aber ich bin nicht befugt, irgendwelche Entscheidungen zu treffen. Schon gar nicht Entscheidungen, die mit der Verteidigungsbereitschaft unseres Landes zusammenhängen.“
„Aber es ist wichtig …“
„Wichtig oder nicht, welche Rolle spielt das schon? Weißberger ist tot, ihn können wir nicht mehr fragen, welcher Fehler ihm unterlief. Wir müssen uns auf Sie verlassen, denn Sie sind sein Nachfolger und hatten Einblick in seine privaten Aufzeichnungen, die Ihnen zur Verfügung gestellt wurden. Nur scheint es mir recht unwahrscheinlich, daß Weißberger dieser Fehler nicht selbst aufgefallen ist. Er war es ja
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