TS 93: Der Unangreifbare
ihn eine Weile gewähren. „Nun?“ fragte sie endlich.
Koskinen antwortete nicht.
„Die Sache mit dem Halsring tut mir leid“, sagte sie zögernd. „Aber ich muß Befehle ausführen. Ich habe gewisse Freiheiten, aber ein direkter Befehl vom Boß ist natürlich nicht zu umgehen.“
„Das sehe ich ein.“
Sie spürte seine Bitterkeit und sagte besänftigend: „Die Drohungen dürfen Sie nicht so tragisch nehmen. Zigger ist nicht schlechter als die anderen Kraterbosse. Was er da über die Regierung gesagt hat, stimmt jedenfalls. Im übrigen ist er heute schlechter Laune. Er ärgert sich über Bones’ Verschwinden.“
Koskinen machte ein verständnisloses Gesicht.
„Neffs Kollege“, erklärte sie. „Neff entführte Sie, und Bones blieb zurück.“
„Ja, ich erinnere mich an den kleinen Burschen.“
„Er wurde gestern wieder in die Stadt geschickt und sollte gegen Abend wieder zurück sein. Zigger wollte ihm einen neuen Auftrag geben. Bones kam aber nicht zurück.“
„Und?“
„Das wissen wir eben nicht. Bones kann einen Zusammenstoß mit einer Halbstarkenbande gehabt haben, aber das ließe sich leicht feststellen! Vielleicht ist er auch einem Stoßtrupp aus einem anderen Krater in die Arme gelaufen. Wir kämpfen gegenwärtig um die Kontrolle eines großen Bereichs.“ Vivienne drückte ihre Zigarette aus und sagte ärgerlich: „Die Regierung sollte diese Pestlöcher endlich ausräuchern.“
„Das wird sie eines Tages bestimmt tun“, erwiderte Koskinen. „Im Augenblick hat sie andere Probleme zu bewältigen. Die Unterhaltung des Protektorats kostet Geld und Zeit.“
„Reden Sie bloß nicht vom Protektorat!“ herrschte sie ihn an.
Er starrte sie verblüfft an, denn sie begann stark zu zittern. Sie sah an ihm vorbei und preßte die Hände vors Gesicht.
„Was ist denn los?“ fragte er mitfühlend und trat einen Schritt auf sie zu.
„Wenn ich an Gott glaubte, würde ich denken, daß er uns mit der Norris-Doktrin strafen will. Diese Doktrin nimmt ihm die Arbeit ab und zwingt uns, uns selber zu knechten.“
Er sah sie kopfschüttelnd an. „Sehen Sie eine andere Lösung, Vivienne? Wollen Sie etwa einen thermonuklearen Krieg befürworten?“ Er dachte bei diesen Worten an den Unterricht, den er im Institut erhalten hatte. Er kannte den Wortlaut der Deklaration auswendig.
Kein anderer Staat darf bewaffnete Kräfte unterhalten. Jeder Versuch, das Verbot zu umgehen, Waffen zu produzieren und Truppen aufzustellen, muß als Aggression gegen die Vereinigten Staaten gewertet werden. Die Verantwortlichen werden in solchen Fällen als Kriminelle angesehen, verhaftet und streng bestraft. Das Strafmaß wird von Militärgerichten festgesetzt, die sich nach dem Kriegsrecht zu richten haben. Die Vereinigten Staaten haben das unbegrenzte Kontrollrecht, erkennen aber die Souveränität aller Staaten an. Alle Länder haben ein Anrecht auf eine eigene Regierung und eine selbstgewählte Lebensform. Die Überwachung richtet sich nicht gegen politische Gruppen und soll lediglich einer Wiederbewaffnung vorbeugen. Die Vereinigten Staaten werden immer dann in das Geschehen eingreifen, wenn sie die politische Entwicklung als gefährlich ansehen. Diese Maßnahmen sind für die Sicherheit der Welt notwendig.
Koskinen kannte aber auch die Nachteile der Doktrin. Der Bundesgerichtshof hatte viele Einzelgesetze erlassen. Präsidenten hatten Sonderrechte gefordert, bis die Doktrin zu einem Gewirr unzähligerParagraphen geworden war. Kein nicht besonders mit der Materie vertrauter Mensch konnte sich da noch durchfinden. Die Amerikaner unterhielten jedenfalls die einzige Militärmacht auf der Erde und setzten sie ein, wenn immer der Präsident es für notwendig hielt. Die Auswertung der diese Entscheidungen beeinflussenden Nachrichten lag in den Händen der allmächtigen Militär-Sicherheitsabteilung.
Vivienne ging nicht auf Koskinens Frage ein. „Wir haben alle Fehler“, sagte sie. „Es ist kein Spaß, den Polizisten zu spielen, denn dieses Amt macht unpopulär. Die Sicherheitsabteilung wollte Sie umbringen, Pete!“
„Die Agenten wollten es tun, das stimmt“, antwortete er zögernd. „Sie wollten es tun, um mich vor den Chinesen zu bewahren – und vor dem hier“, fügte er hinzu und betastete den Halsring.
„Sie haben meinen Mann umgebracht“, sagte sie tonlos. „Wollen Sie die Geschichte hören?“ Sie wartete seine Antwort gar nicht ab und begann mit ihrem Bericht.
„Nach dem Staatsexamen wurde ich
Weitere Kostenlose Bücher