TS 96: Menschen auf fremden Sternen
erträgliches Mindestmaß beschränkt. Das war natürlich sehr schwierig gewesen, denn um eine Kultur zu konzentrieren, muß man sich ihrer voll bewußt sein. Es kam nicht mehr auf Instinkte an, sondern auf ein klares Erfassen der Dinge. Die Umstellung war ein schmerzhafter Prozeß, denn der Mensch verzichtet nicht gern, selbst wenn er dadurch andere Werte gewinnt. Shek sagte: „Es ist noch immer nicht leicht, die jungen Menschen von der Wichtigkeit der einfachen Lebensweise zu überzeugen, deshalb werden sie lange unterrichtet. Die Krönung der Ausbildung ist dann die Einführung in die Welt der Erwachsenen. Es ist ein feierlicher Ritus, den die Nern sehr ernst nehmen.
Die Nern mußten entscheiden, was wichtig und was überflüssig ist. Das Leben kann nur schön sein, wenn es die Erfüllung bringt. Die Nern suchten ein Utopia und fanden es. Unsere Brüder auf Carinae IV haben das wahre Leben gefunden. Sie haben sich gegen die Maschinenkultur entschieden, weil der Preis dafür zu hoch ist. Sie wollen wieder vollgültige Menschen sein, nicht funktionierende Maschinen. Die Umkehr fand zu einer Zeit statt, in der die Nern keine Not kannten. Sie hatten einen Höhepunkt der Entwicklung erreicht. Sie spürten aber, daß diese Art Entwicklung nie zu einem Ziel führt und kehrten um. Nur der Mensch ist wichtig, die Philosophie, das Leben. Die Nern lebten nun wieder von der Jagd und dem Ertrag ihrer geringen Landwirtschaft. Sie beschränkten sich ganz bewußt auf dieses einfache Leben und wurden dadurch zu wirklichen Menschen. Sie hatten die Maschinen als nützlich aber überflüssig erkannt.
Die Nern hätten Roboter bauen und sich soviele Arbeiten abnehmen lassen können. Sie taten es nicht, weil der Mensch von seiner Hände Arbeit leben muß. Die Ausschaltung aller durch die Zivilisation bedingten Bedürfnisse schränkt diese Arbeit jedoch auf ein geringes Maß ein. Das Leben wurde nicht primitiv, sondern paradiesisch. Kein Mensch brauchte mehr zu hetzen und zu streben, denn alles blieb gleich. Das System blieb aber nicht starr, denn Menschen können Starrheit nicht ertragen. Da aber das Ziel klar war, konnten sich alle bemühen, den richtigen Weg zu gehen. Die Nern hatten nun die Sonne, die Bäume und die Sterne für sich. Es gab keine unvernünftigen Ablenkungen mehr, nur das Leben.
Viel mehr kann ich nicht sagen“, schloß Shek seinen Bericht. „Ich weiß nur, daß sie uns weit überlegen sind, weil sie das wahre Glück gefunden haben. All die Hilfsmittel, die uns das Leben erleichtern, sind in Wahrheit nur überflüssiger Ballast. Es gehört aber eine gewisse Größe dazu, sich zum Verzicht zu entscheiden.“
Shek legte seine Zigarette in den Aschenbecher. „Sie können die Nacht hier bei uns verbringen, Martin“, sagte er freundlich. „Morgen früh bringe ich Sie zum Startplatz.“
*
Martin schlief in einem Zimmer in der ersten Etage. Durch das offene Fenster wehte die milde Nachtluft ins Zimmer. Er konnte lange nicht einschlafen und sah zu den Sternen auf, die von den Nern als Sternenbrüder bezeichnet wurden. Sie hatten diese Bezeichnung gewählt, weil es fast überall Leben gab. Die Lagerfeuer am Himmel waren die Sonnen der Planeten, auf denen andere Völker lebten, schon vergangen waren oder gerade erst aus dem Dämmerschlaf der ersten Anfänge erwachten.
Martin Ashley schlief erst ein, als sich der Horizont bereits rötete.
*
Das schlanke Raumschiff reckte sich stolz in die Höhe. Bald würde es zum Flug zu dem hundert Lichtjahre entfernten System starten.
Martin Ashley hatte zwei Entscheidungen zu treffen, beide waren schwierig. Er stand mit Bob Chavez im Lift. Die Erde war jetzt nicht mehr so weit entfernt. Eigentlich hätte er zufrieden sein müssen.
Statt dessen streckte er die Hand aus und verabschiedete sich von Bob.
Bob ergriff die Hand und drückte sie fest. Er versuchte erst gar nicht, Martin über den Grund seines plötzlichen Entschlusses zu befragen. Er hatte sich in wenigen Wochen stark verändert, er war ein Mann geworden.
Martin bedauerte, daß er sich von Bob trennen mußte, doch sein Entschluß stand fest.
„Viel Glück, Mart“, sagte der junge Mann. „Ich war nicht immer ein guter Gefährte.“
„Unsinn, Bob. Vielleicht sehen wir uns eines Tages wieder.“
„Hoffentlich. Ich werde denen auf der Erde alles sagen, Mart.“
In einer Ecke des Fahrstuhls flammte eine Warnlampe auf. Martin Ashley riß die Tür auf und stieg wieder aus. Die Tür schloß sich,
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