TS 96: Menschen auf fremden Sternen
METHOD)
Der erste Schritt der wissenschaftlichen Methode ist die Feststellung der Gegebenheiten und die Formulierung des Problems.
*
Reda Dani hielt sich durchaus nicht für einen Fremden. Er zweifelte keinen Augenblick daran, ein Mensch zu sein, denn alle seine Mitbürger auf Kapella IV bezeichneten sich als Menschen.
Die einzigen Fremden waren die von der Erde.
Reda Dani war aber kein Narr. Er wußte, daß jede geschlossene Gruppe fremde Eindringlinge als Fremde bezeichnete. Der Begriff „Fremder“ war zumindest zweifelhaft und nach Belieben anwendbar.
Diese Erkenntnis machte das Problem nicht leichter.
Gedankenversunken kümmerte er sich wieder um seine Pfeife. Sie war ausgegangen. Er schüttete den Inhalt in eine kleine Brennkammer auf dem Schreibtisch und stopfte die Pfeife neu. Nachdem er die ersten Züge inhaliert hatte, fühlte er sich etwas .entspannter.
Dani stand auf und trat vor den großen Bildschirm. Das irdische Sonnensystem war schon sehr nahe – viel zu nahe.
Er wurde wieder nervös; Schweißtropfen traten auf seine Stirn, die Hände fühlten sich feucht an.
„Ich wünschte, der verdammte Planet löste sich auf“, sagte er grollend.
„Immer mit der Ruhe!“ mahnte Hago Vere, der Semantiker. „Wenn du die Nerven verlierst, können wir gleich umkehren.“
„Spar dir deine guten Ratschläge für einen anderen auf“, antwortete Dani und zog noch heftiger an seiner Pfeife.
„Bürgerkrieg ist immer ein guter Anfang“, sagte Hago Vere grinsend. „Du bist der Koordinator. Du solltest einmal deine eigene Propaganda lesen.“
Reda Dani machte eine abwehrende Handbewegung. „Ich habe es schon wieder überwunden. Ab und zu muß man Dampf ablassen, wenn man nicht platzen will. Die Entscheidung rückt immer näher.“
„Das weiß ich so gut wie du, Reda.“
Beide Männer schwiegen wieder. Das große Raumschiff jagte mit ungeheurer Geschwindigkeit auf das Ziel zu. Reda Dani rauchte ununterbrochen und wischte sich den kalten Schweiß von den Handflächen.
Er hatte ein schwieriges Problem zu lösen.
Schwierig, weil es sich vorher nie präsentiert hatte. Aus diesem Grunde gab es keinen Präzedenzfall, nichts, auf das er sich stützen konnte.
Aber das Problem mußte gelöst werden.
Er fing noch einmal von vorn an und überdachte jede Einzelheit.
*
Kapella IV war seine Lebenssphäre. Der Planet ähnelte der Erde, ja, die Verhältnisse waren fast identisch. Das war ein ungewöhnlicher Zufall, denn Kapella IV gehörte zum Doppelgestirn Aurigae-Kapella. Obwohl Kapella und Sol zum gleichen Sonnentyp zählten, war Kapella sechzehnmal größer als die Sonne des irdischen Systems.
Der Zufall fast gleicher Umweltbedingungen hatte natürlich Konsequenzen. Auf beiden Planeten hatte sich das Leben auf der gleichen Linie entwickelt. Es gab Unterschiede, aber im großen und ganzen stimmte alles ziemlich überein. Auch auf Kapella IV gab es Wassertiere, Amphibien und Säugetiere, deren höchste Form der Homo sapiens darstellte. Die Menschen gingen aufrecht, besaßen ein gut funktionierendes Gehirn und geschickte Hände.
Die Bewohner von Kapella IV hatten Weltraumschiffe gebaut, um die Nachbarschaft zu erforschen. Dabei machten sie die überraschende Feststellung, daß das Leben nicht auf einen einzigen Planeten beschränkt war.
Die Lebensformen waren aber überall verschieden und deshalb kaum als Nachbarn anzusprechen. Es gab keine gemeinsame Basis und deshalb kein friedliches Zusammenleben.
Die anderen Lebensformen waren nicht freundlich, sondern ganz einfach anders. Die Bewohner von Kapella IV fühlten sich isoliert und einmalig, denn überall gab es nur fremde Lebensformen.
Dann wurde die Erde entdeckt und die auf diesem Planeten vorherrschende Lebensform. Auf Grund der gleichen Entwicklung standen beide Gruppen annähernd auf der gleichen Stufe.
Die Erdbewohner kannten die Kobaltbombe, Fernraketen und die Raumfahrt.
Die Menschen auf Kapella IV hatten Kraftfelder und besonders schnelle Raumschiffe, die den Verkehr über weite Entfernungen ermöglichten.
Es bestand also ein Gleichgewicht der Kräfte.
Beide Gruppen beobachteten sich fünfundzwanzig Jahre lang, diskutierten und vermieden den direkten Kontakt. Telefotos wurden ausgetauscht, dann Informationen. Gleichzeitig demonstrierten beide Seiten ihre militärische Macht. Fünfundzwanzig Jahre lang wurden Vermutungen aufgestellt, wurde herumgerätselt, aber kein entscheidender Schritt unternommen.
Jede Seite hatte
Weitere Kostenlose Bücher