TS 97: Das Mittelalter findet nicht statt
Rom. Padway erstickte jede mögliche Feindschaft, die sie für ihn hätten hegen können, indem er sie als Reporter in seine Dienste stellte. Er bot generell eine Summe von einigen Sesterzen für jeden ihm geeignet erscheinenden Artikel.
Als er die erste Ausgabe zusammenstellte, mußte er feststellen, daß eine drastische Zensur vonnöten war. Eine Geschichte zum Beispiel lautete:
„Unser verkommener und gottloser Stadtgouverneur, Graf Honorius, wurde am Mittwochmorgen gesehen, wie ihn eine junge Frau mit einem Fleischermesser die Via Appia hinunter verfolgte. Das ist das viertemal in einem Monat, daß der korrupte Graf durch seine Weibergeschickten einen Skandal entfesselt hat. Es geht das Gerücht, daß die Väter der von ihm entehrten Töchter an König Thiudahad eine Eingabe machen werden, um ihn aus seinem Amt zu entfernen. Der Schreiber dieser Zeilen kann nur hoffen, daß, wenn es wieder zu einer Verfolgung kommt, seine Verfolgerin schneller ist als er.“
*
Irgend jemand hat etwas gegen unseren ehrenwerten Grafen, dachte Padway. Er kannte Honorius nicht, aber ganz gleich, ob die Geschichte nun stimmte oder nicht, zwischen ihm, Padway, und den Folterkammern der Stadt bestand jedenfalls keine Vereinbarung, die die Pressefreiheit einschloß.
So enthielt die erste achtseitige Ausgabe keine Artikel über junge Frauen mit Fleischermessern, sondern bestand aus relativ unschuldigen Nachrichten, einem kurzen Gedicht als Beitrag eines Schreibers, der sich als einen zweiten Ovid betrachtete, einen Leitartikel von Padway, in dem er seiner Hoffnung Ausdruck gab, daß die Römer seine Zeitung nützlich finden würden, sowie einen kurzen Artikel – ebenfalls von Padway – über die Natur und die Gewohnheiten des Elefanten.
Padway blätterte in den knisternden Pergamentseiten der Korrekturabzüge und war stolz auf sich und seine Leute – ein Stolz, der auch durch die Entdeckung einer ganzen Anzahl hervorstechender Druckfehler nicht gemindert wurde.
Padway nannte sein Blatt Tempora Romae und bot es um zehn Sesterzen – etwa dem Gegenwert von fünfzig Cent – an. Er war überrascht, daß die erste Auflage nicht nur verkauft wurde, sondern daß Fritharik noch drei Tage nachher damit beschäftigt war, Leute abzuweisen, die unbedingt eine Zeitung haben wollten.
Jeden Tag kamen ein paar Schreiber mit neuen Nachrichten. Einer von ihnen, ein plumper, freundlich aussehender Mann von etwa Padways Alter, reichte eine Geschichte ein, die folgendermaßen begann:
„Das Blut eines Unschuldigen ist unserem Ungeheuer von Stadtgouverneur Graf Honorius geopfert worden.
Verläßliche Quellen berichten, daß Q. Aurelius Galba, der vergangene Woche als überfiihrter Mörder zum Tode verurteilt wurde, der Mann einer Frau war, der unser als Schürzenjäger berüchtigter Graf lange Zeit nachgestellt hat. Bei Galbas Prozeß wurden viele Spekulationen der Zuschauer laut, daß das Beweismaterial äußerst fadenscheinig gewesen sei …“
*
„He!“ sagte Padway. „Bist du der Mann, der bereits diese andere Geschichte über Honorius eingereicht hat?“
„Richtig“, nickte der Schreiber. „Ich habe mich schon gewundert, weshalb du sie nicht gedruckt hast.“
„Wie lange, glaubst du wohl, würde man mich meine Zeitung ohne Einmischung der Behörden verbreiten lassen, wenn ich das täte?“
„Oh, daran habe ich nie gedacht.“
„Nun, denke beim nächstenmal daran. Ich kann diese zweite Geschichte auch nicht gebrauchen. Aber laß dich davon nicht entmutigen. Sie ist auf jeden Fall gut geschrieben. Woher beziehst du eigentlich diese Nachrichten?“
Der Mann grinste. „Ich höre Dinge. Und was ich nicht höre, hört meine Frau.“
„Zu schade, daß ich nicht wage, eine Klatschspalte einzuführen“, sagte Padway. „Aber du scheinst das Zeug zu einem Zeitungsmann zu haben. Wie heißt du?“
„Georg Menandrus.“
„Das ist griechisch, nicht wahr?“
„Meine Eltern waren Griechen; ich bin Römer.“
„Gut, Georg. Bleib’ mit mir in Verbindung. Vielleicht brauche ich eines Tages einen Assistenten, um diese Zeitung hier zu leiten.“
Padway suchte voll Zuversicht einen Gerber auf, um eine weitere Bestellung für Pergament aufzugeben.
„Wann brauchst du es?“ fragte der Gerber.
Padway sagte: „In vier Tagen.“
„Das ist unmöglich. Bis dahin habe ich vielleicht fünfzig Blatt. Sie kosten dich fünfmal soviel wie die ersten.“
Padway sperrte den Mund auf. „Um Gottes willen, warum
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