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Tschick (German Edition)

Tschick (German Edition)

Titel: Tschick (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Herrndorf
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wahrscheinlich geschnappt hätten, und ich richtete mich darauf ein, auch noch die nächste Nacht unter den Holunderbüschen zu verbringen, als mein Blick auf eine der Abfalltonnen fiel. In dieser Tonne lagen Unmengen von Schokoriegelpapier, leere Bierflaschen und Kronkorken, und da fiel mir plötzlich ein, dass wir unseren ganzen Müll der letzten Nacht ja ebenfalls in diese Tonne geworfen hatten. Wir hatten nichts liegengelassen unter den Holunderbüschen. Wie ein Wahnsinniger rannte ich zurück – und da lag diese eine leere Cola-Flasche. Ich guckte sie mir genauer an, und oben im Flaschenhals steckte ein kleiner, zusammengerollter Zettel, auf dem stand: «Bin in der Bäckerei, wo Heckel war. Komm um sechs, T.» Der Satz war aber durchgestrichen und ein neuer druntergeschrieben: «Graf Lada arbeitet im Sägewerk. Bleib hier, ich hol dich bei Sonnenuntergang.»
    Ich saß bis zum Abend glücklich auf der Aussichtsplattform, und dann unglücklich und immer unglücklicher. Tschick kam nicht. Touristen kamen auch nicht mehr, nur ein schwarzes Auto kurvte hinten auf dem Weg herum. Das kurvte da schon seit der Dämmerung, und ich weiß nicht, wie blind man eigentlich sein kann, denn erst als das Auto vor mir hielt und ein Mann mit Hitler-Bärtchen die Tür aufmachte, merkte ich, dass das logischerweise auch ein Lada war. Unser Lada.
    Ich umarmte Tschick, und dann boxte ich ihn, und dann umarmte ich ihn wieder. Ich konnte mich überhaupt nicht beruhigen.
    «Mann!», schrie ich. «Mann!»
    «Wie findest du die Farbe?», fragte Tschick, und dann schossen wir schon mit Vollgas den Hügel hinunter.
    Ich erzählte, was ich alles gemacht hatte, seit wir uns verloren hatten, aber was Tschick zu erzählen hatte, war deutlich interessanter. Er war auf seiner Flucht zufällig wieder an der Bäckerei vorbeigekommen, wo wir Heckel getroffen hatten, und nicht weit davon hatte er den Lada erst mal geparkt, weil ihm das Rumfahren auf der Straße zu gefährlich wurde. Er hatte sich vor die Bäckerei gesetzt und den ganzen Tag nur Polizeiautos gesehen.
    Schließlich war er zu Fuß zu der Aussichtsplattform gelaufen, die nur ein paar Kilometer entfernt war, und dort hatte er zuerst auf mich gewartet, und weil ich nicht kam, weil ich ja im Wald übernachtete, hatte er schließlich den Zettel mit dem Bäckerei-Satz in die Cola-Flasche gesteckt und war den ganzen Weg zum Lada zurückgelaufen. Dabei war er an einem Baumarkt vorbeigekommen und hatte Klebeband und einen Karton Sprühdosen geklaut und war dann damit, als keine Polizei mehr auf der Straße war, wieder zur Aussichtsplattform gefahren. Da hatte er den zweiten Satz auf den Zettel geschrieben und dann in dem Sägewerk angefangen, den Lada umzuspritzen. Und an alles andere hatte er auch gedacht: Am Lada hingen jetzt Cottbuser Kennzeichen.
    Als ich Tschick von dem Mann mit den Bandagen erzählte und von dem Mann an der Bushaltestelle, meinte er, das wäre ihm auch schon aufgefallen, dass es hier viele Verrückte gab. Nur was es mit den Beschriftungen in fremder Sprache auf sich hatte, wusste er auch nicht.
    «Russisch ist das jedenfalls nicht», sagte er, und wir schauten auf ein paar merkwürdige Schilder, die im Licht der ersten Laternen vorüberglitten.

28
    Am nächsten Tag waren wir wieder auf der Autobahn. Diesmal nicht aus Versehen. Wir fühlten uns sicher genug, wir wollten schneller vorankommen, und das taten wir auch. Und zwar ungefähr fünfzig Kilometer. Dann zeigte Tschick auf die Tankanzeige, die schon weit im roten Bereich war.
    «Scheiße», sagte er.
    Daran hatten wir vorher gar nicht gedacht, dass wir ja tanken müssten. Im ersten Moment schien mir das auch kein großes Problem. Zwei Kilometer vor uns war eine Raststätte, und wir hatten Geld genug. Aber dann fiel mir ein, dass zwei Achtklässler im Auto beim Tankstellenpersonal wahrscheinlich nicht wahnsinnig gut ankommen würden. Da hätte man auch früher draufkommen können.
    «Hier, fünfzig Otzen! Rest ist für Sie», sagte Tschick zu einem eingebildeten Tankwart und lachte sich halb tot.
    Trotzdem fuhren wir an der Raststätte erst mal raus. Es war kurz nach Mittag, und es wimmelte von Leuten. Tschick steuerte hinten an den Diesel-Zapfsäulen vorbei und parkte zwischen zwei großen Lastwagen mit Anhängern, wo uns keiner sehen konnte. Wir schauten uns deprimiert um. Tschick meinte, dass wir hier nie an Benzin kommen würden, und ich schlug vor, einfach mit dem Tennisball das nächste Auto aufzumachen.
    «Viel

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