Tschick (German Edition)
zu viel Betrieb», sagte Tschick.
«Warten wir einfach, bis weniger Betrieb ist.»
«Warten wir einfach bis zum Abend», sagte er, «dann geht einer zu der Zapfsäule ganz außen, der andere fährt mit dem Lada ran – und zack tanken und weg. Sparen wir außerdem Geld.»
Tschick fand, das wäre ein brillanter Plan, mindestens Hannibal über die Alpen. Und ich hätte ihm vielleicht sogar zugestimmt, wenn ich gewusst hätte, wie Tanken geht. Aber ich hatte noch nie so einen Tankschlauch in der Hand gehabt, und es stellte sich raus, dass Tschick auch noch keinen in der Hand gehabt hatte. Da ist ja nicht nur ein großer Hebel im Griff, sondern auch noch ein kleiner zum Feststellen oder so. Ich hatte meinem Vater schon oft zugesehen, aber nie genau genug hingeguckt.
Wir kauften deshalb erst mal zwei Magnum an der Tankstelle und setzten uns auf die Stufe gegenüber den Zapfsäulen und guckten den Leuten beim Tanken zu. Es schien wirklich nicht so schwierig zu sein. Nur dass es immer eine Ewigkeit dauerte, bis der Tank voll war. Und immer standen Leute daneben, und der Tankwart hatte alles im Blick durch seine Panoramascheiben. Wir hätten natürlich auch nur ein paar Liter tanken und abrauschen können, aber dann hätten wir an der nächsten Raststätte ja gleich wieder rausgemusst.
«Hast du den Tennisball nicht mehr?», fragte ich. Ich zeigte über den ganzen Parkplatz: so viele schöne Autos.
«Wir können nicht jedes Mal ein neues Auto klauen, wenn der Tank leer ist.»
«Aber du hast den Ball noch?» Ich sah Tschick an. Er hatte seine Arme um die Knie geschlungen und den Kopf in den Armen vergraben.
«Jajaja», sagte er und erklärte, dass wir den Lada ja eigentlich auch zurückbringen wollten und dass wir nicht nacheinander hundert Autos klauen könnten und so weiter. Und ich fand das alles einleuchtend. Aber wenn unsere Reise dann deshalb jetzt zu Ende war?
Ein roter Porsche hielt an den Zapfsäulen, eine junge Frau mit glatten blonden Haaren stieg aus und griff mit rosa Fingernägeln nach dem Tankschlauch – und plötzlich fiel mir ein, wie wir an Benzin kommen konnten. Wir mussten das Benzin doch nur aus einem anderen Auto rausholen! Das war ganz einfach. Dazu brauchte man nur einen Schlauch. Den steckte man oben in den Tank und saugte einmal an, dann lief das alles oben raus. Das wusste ich aus einem Buch, das ich zur Einschulung geschenkt bekommen hatte, ein Buch, wo einem die ganze Welt erklärt wird, ein Buch für Sechsjährige. Und logischerweise wurde Sechsjährigen da nicht erklärt, wie man Benzin klaut. Aber ich erinnerte mich an die Abbildung von einem gezeichneten Tisch, auf dem ein gezeichneter Topf stand. In dem Topf war Wasser, und über den Rand vom Topf floss das Wasser über einen Schlauch glatt raus. Das beruhte auf irgendeiner physikalischen Kraft.
«Was willst du mir erzählen? Dass das Wasser von unten nach oben läuft?»
«Du musst ansaugen.»
«Noch nie was von Erdanziehung gehört? Das läuft nicht nach oben.»
«Weil es ja danach nach unten läuft. Es läuft ja insgesamt mehr nach unten, deshalb.»
«Aber das weiß das Benzin doch nicht, dass es nachher noch runtergeht.»
«Das ist ein physikalisches Gesetz. Das hat auch einen Namen, irgendwas mit Kräfte. Und Röhren. Kräfte-irgendwas-Gesetz.»
«Quatsch», sagte Tschick, «Quatsch-mit-Soße-Gesetz.»
«Hast du das nie im Film gesehen?»
«Ja, im Film .»
«Ich weiß das aus einem Buch», sagte ich. Ich sagte lieber nicht, dass es ein Buch für Sechsjährige gewesen war. «Irgendwas mit K. Kapitalkraft. Gesetz der kapitalen Kraft oder so.»
«Kapitale Scheiße, Mann.»
«Nein, es ist auch was anderes … ich weiß! Kommunal, das Prinzip der kommunalen Röhren.»
Da sagte Tschick erst mal nichts mehr. Glauben konnte er das noch immer nicht. Aber dass mir der Name vom Gesetz eingefallen war, hat ihm den Wind aus den Segeln genommen. Ich hab ihm noch erklärt, dass die Kommunalkraft noch stärker ist als die Erdanziehungskraft und alles, aber hauptsächlich, um uns Mut zu machen und weil ich nicht wollte, dass die Reise schon zu Ende war. Weil, gesehen hatte ich das mit dem Schlauch auch noch nie.
Wir aßen noch ein Magnum und dann noch eins, und als wir dann immer noch keine bessere Idee hatten, beschlossen wir, es wenigstens mal zu versuchen.
29
Problem war natürlich, dass wir keinen Schlauch hatten. Wir suchten zuerst das Gelände hinter der Tankstelle ab, dann das Unterholz, dann einen Acker, dann immer
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