Tschick (German Edition)
weiter weg. Wir fanden Radkappen, Plastikplanen, Pfandflaschen, Unmengen Bierdosen und am Ende sogar einen Fünf-Liter-Kanister ohne Verschluss, aber irgendwas Schlauchähnliches fanden wir nicht. Wir suchten fast zwei Stunden und riefen uns immer neue Pläne zu, wie wir von hier wieder wegkommen könnten. Die Pläne wurden immer absurder, und das drückte auf die Stimmung. Kein Scheißschlauch nirgendwo, kein Rohr, kein Kabel. Dabei sah man so Zeug doch sonst ständig rumliegen, wenn man es nicht brauchte.
Tschick ging in den Tankstellenshop und guckte beim Autozubehör und überall, aber Schläuche hatten sie nicht. Dafür kam er mit einer Handvoll Strohhalme wieder raus. Wir versuchten, diese Strohhalme zu einem langen Halm zusammenzustecken, und spätestens beim Anblick dieses knickrigen Gebildes wäre auch einem Dreijährigen mit Hirnschaden klargeworden, dass wir so nicht tanken konnten.
Und dann fiel Tschick doch noch was ein. Und zwar, dass da eine Müllkippe auf unserem Weg gewesen war. Ich konnte mich an keine Müllkippe erinnern, aber Tschick war sich ganz sicher. Auf der rechten Seite, nur ein paar Kilometer vor der Raststätte, da wären riesige Müllberge gewesen. Und wenn es irgendwo Schläuche gab, dann doch garantiert da. Wir liefen immer an der Leitplanke entlang auf einem kleinen Trampelpfad und dann wieder durch den Wald und über Felder und Zäune, immer in Sichtweite zur Autobahn. Es war so heiß geworden wie an den Tagen zuvor, und am Waldrand hingen Insekten wie Nebelschwaden. Wir liefen über eine Stunde, ohne einem Müllberg zu begegnen, und ich hatte schon keine Lust mehr und wollte die Sache mit dem Schlauch aufgeben. Aber jetzt war Tschick auf einmal von der Schlauchidee restlos überzeugt und wollte auf keinen Fall ohne Schlauch zurück, und während wir noch diskutierten, tauchte am Wegrand ein riesiges Brombeergebüsch auf. Das ging über fast hundert Meter, und die meisten Brombeeren waren noch nicht reif, aber da, wo die pralle Sonne draufschien, waren auch viele reife, und die schmeckten phantastisch. Ich weiß nicht, ob ich es schon erwähnt habe, aber ich mag nichts auf der Welt lieber als Brombeeren. Da blieben wir dann erst mal und pflückten jeder hundert Kilo, und hinterher sahen wir aus wie geschminkt, das ganze Gesicht lila.
Danach ging es mir wieder blendend, und ich hatte nichts dagegen, noch stundenlang weiterzulaufen auf der Suche nach einem Schlauch. Und tatsächlich brauchten wir noch fast zwei Stunden, bis die Müllberge in Sicht kamen. Riesige Berge, ganz von Wald und Autobahn umgeben, und wir waren nicht die Einzigen, die da rumkraxelten. Irgendwo ganz hinten lief ein alter Mann gebückt herum und sammelte Elektrokabel ein. Und ein Mädchen in unserem Alter war auch da, ganz verdreckt. Und zwei Kinder. Aber die schienen nicht zusammenzugehören.
Ich hatte einen Berg mit Haushaltsmüll zu fassen und sammelte zwei Fotoalben ein, die ich Tschick zeigen wollte. In dem einen war eine Familie, lauter Aufnahmen von Vater, Mutter, Sohn und Hund, und auf jedem Bild strahlten sie alle, sogar der Hund. Ich blätterte das Album durch, aber am Ende warf ich es doch wieder weg, weil es mich deprimierte. Ich musste an meine Mutter denken und wie schlecht es ihr ging und welchen Kummer ich ihr wahrscheinlich verursachte, wenn das alles hier rauskam. Dann rutschte ich auf einer schmierigen Holzplanke aus und fiel in einen Haufen mit vergammeltem Obst.
Tschick war auf einen anderen Berg gestiegen und hatte einen großen braunen Plastikkanister mit Einfüllstutzen gefunden. Er trommelte mit der Faust darauf und schwenkte ihn über seinem Kopf. Der Kanister war natürlich super. Aber Schläuche – Fehlanzeige.
Ich hielt besonders Ausschau nach Waschmaschinen, aber bei allen Waschmaschinen, die ich fand, war aus irgendeinem Grund die Trommel ausgebaut und der Schlauch abmontiert. Als der gebückt gehende Mann an mir vorbeischlich, fragte ich, ob er zufällig wüsste, warum bei allen Waschmaschinen die Schläuche fehlten, aber er hob kaum den Blick und zeigte nur auf seine Ohren, als ob er taub wäre. Auch das verdreckte Mädchen kletterte einmal wie ein kleines, schnelles Tier an mir vorbei, ohne mich anzusehen. Sie lief barfuß, ihre Beine waren schwarz bis zum Knie. Darüber trug sie eine hochgekrempelte Army-Hose und ein versifftes T-Shirt. Sie hatte schmale Augen, wulstige Lippen und eine platte Nase. Und ihre Haare sahen aus, als wäre beim Schneiden die Maschine
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