Tschoklet
eins, das hat aber geschlossen. Willi, weißt du was von einem Schwesternhaus in Graben?«
Der Brandmeister überlegte kurz und kratzte sich am Kinn, schüttelte allerdings den Kopf. »Nein, nur das hier bei uns. Das ist aber schon seit 1942 zu. Die Schwestern, die damals hier waren, sind alle nach Karlsruhe in die Krankenhäuser versetzt worden. Tut mir leid. Sollen wir Ihnen das Haus zeigen?«
»Nein, nicht nötig. Wir haben hier ein Mädchen aus Ketsch dabei, die uns etwas von einer Tante in einem Schwesternhaus in Graben erzählt hat. Da die Schwestern nicht mehr hier sind, müssen wir eben in Karlsruhe suchen. Das ist sowieso unser Ziel.«
»Sie haben eine Frau dabei?«
»Ja. Sie ist mit einem meiner Männer befreundet. Seit gestern ist sie krank und liegt da hinten im Lastwagen mit Fieber und Schnupfen. Hoffentlich wird das Wetter bald wieder besser.«
»Mister Edwards, wenn die Franzosen das mitbekommen, dass Sie eine illegale Person aus der amerikanischen Zone …«
»Bis jetzt hat es funktioniert.«
»Das ist sehr gefährlich, was Sie da machen, wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf.«
»Ich weiß, meine Herren. Aber es ging nicht anders. Sagen Sie mal, gibt es hier eigentlich einen Arzt?«
»In Graben ist nur der Veterinär Dr. Zimmermann oder ein Zahnarzt namens Dr. Wilhelmy. Beide auf der Hauptstraße. Unseren Allgemeinarzt haben sie am 10. Mai nach Karlsruhe ins Städtische Krankenhaus geschickt. Der Zahnarzt hat momentan sehr viel zu tun bei den Franzosen. Versuchen Sie es kurz vor dem Ortsausgang Richtung Linkenheim. Das zweite Haus hinter dem ausgebrannten Pfarrhaus, dort ist der Hof von Dr. Zimmermann. Vor der Tür steht ein großer Walnussbaum. Sie können es nicht verfehlen.«
»Ich danke Ihnen.« Edwards und die anderen Soldaten schüttelten den beiden Männern die Hände zum Abschied.
»God bless you {13} .«
Die Soldaten stiegen zurück in ihre Fahrzeuge, nicht ohne vorher nach Christine zu schauen. Sie hatte sich in die verschiedenen Wolldecken auf der Ladefläche zwischen den Rucksäcken eingekuschelt und schlief fest.
Kaum hatte sich Roebuck in den Dodge gesetzt, hielt Private Piece ihm plötzlich zwei große, gelbrote Äpfel entgegen. »Hier, habe ich besorgt. Für deine Freundin. Vitamine sind jetzt besonders wichtig.«
Roebuck drückte fest die Hand von Piece und nickte ihm dankbar zu.
»Mensch, Jimmy, wo hast du die denn her?«
»Ist eine lange Geschichte. Ich habe dem Bauern für jeden Apfel eine komplette Abendration von mir gegeben. Hauptsache, sie wird wieder gesund.«
Dann gab der Fahrer Gas und folgte dem bereits vorwegfahrenden White’s Halbkettenfahrzeug in Richtung Graben.
Die beiden Orte lagen relativ nahe beieinander. Als sie über die reparierte Brücke des Pfinzkanals der Heidelberger Straße fuhren, hörten sie von rechts das Rauschen eines Wasserfalls, einer Abstufung des Geländes im Rheingraben vom Hoch- zum Tiefgestade. Auf ihrem Weg durch das von den Einheimischen genannte ›Niemandsland‹ zwischen den Dörfern kamen gleich rechts ein gesperrter und verbarrikadierter Bahnübergang und, einige Hundert Meter weiter, kleinere Gebäude und ein Lokschuppen des schwer beschädigten Bahnhofs in Sicht. Ein schiefes Hinweisschild und ein quer über die Zufahrt gelegter rot-weißer Schlagbaum wiesen geradeaus den Weg zur Ortsmitte. Die Bauarbeiten zum Wiederaufbau waren allerdings voll im Gange. Auf dem ganzen Gelände waren Hunderte von Arbeitern damit beschäftigt, Schutt wegzuräumen und die Gleise neu zu richten. Da deren französische Bewacher sich hauptsächlich im Bahnhofsgebäude aufhielten, merkte man nicht sofort, dass es sich um deutsche Kriegsgefangene handelte.
Auf der Straße kamen ihnen ein paar Kinder, die ihnen lachend zuwinkten, entgegen. Die strahlenden Kinder lenkten sie zu sehr ab, als dass sie das links von ihnen liegende Kriegsgefangenen- und Arbeitslager mit seinem katastrophal schlechten Zustand bemerken konnten.
Der Tag hatte morgens mit Regen und tief hängenden, schnell ziehenden Wolken begonnen, doch in dem Moment, als die zwei Fahrzeuge über die wieder intakte, stählerne Eisenbahnbrücke in der Bahnhofstraße nach Graben hineinfuhren, riss wie auf Befehl die Wolkendecke auf und die Sonne ließ sich wieder blicken. Die teilweise noch nassen Straßen begannen zu dampfen und trockneten innerhalb kürzester Zeit. Wo sie auch durchfuhren, staunten zahlreiche Kinder und ältere Leute ihrem kleinen Konvoi hinterher. Edwards ließ
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