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TTB 100: Der Traum der Maschine

TTB 100: Der Traum der Maschine

Titel: TTB 100: Der Traum der Maschine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Kneifel
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dem Fuß der Göttin. Der Weihrauch hüllte Anhetes ein und machte ihn fast besinnungslos.
    Er taumelte und fiel nach vorn, fing sich mit den Händen ab und blieb auf dem kalten Stein liegen. Durch die Öffnung der schweren Decke leuchteten in einem vollkommenen Rund die Sterne und bildeten einen Kreis um Kas Haupt.
    »Göttin!« flüsterte Anhetes, und seine Stimme fing sich zwischen den Banitmauern. »Ka!«
    Schweigen. Todesstille ...
    »Ich bitte nicht für mich«, flüsterte der Priester inbrünstig weiter. »Ich bitte für meine neue Lehre. Gib mir die Einsicht, deine Weisheit und das Wissen, damit ich den Lauf deiner Gestirne richtig deute. Gib mir die Kraft für die kommenden Tage, in denen ich meine Arbeit vollenden muß und deine neue Lehre verkünden will – und sende Tot-meres den Kaiadler!«
    Wieder war die Antwort der Göttin nichts als Schweigen.
    »Wenn sich die Lehre ausbreitet, sollen alle Menschen an ihr teilhaben. Sie sollen wissen, wie unser Platz in der Schwärze beschaffen ist und nach welchen Gesetzen sich die Gestirne bewegen. Gib ein Zeichen, Ka, wenn du mit mir zufrieden bist.«
    Todesstille. Ein Scheit knackte in einem Funkenregen. Anhetes hob den Kopf.
    Der beißende Weihrauch lichtete sich für einen Moment. Ein weißer Geier flog über den Tempel. Er zog einen Kreis, einen zweiten und schrie heiser. Dann schwand er aus dem Blickfeld des Priesters. Anhetes stand taumelnd auf.
    »Ich danke dir, Ka«, sagte er keuchend und trat vom Altar zurück. Ka sah ihn wesenlos an, mit dem überlegenen Blick, den Sterbliche niemals haben – durch den Menschen hindurchgehend, voll der Weisheit aus einer Ebene, die menschlicher Geist nie erklettern kann. Anhetes verneigte sich und fühlte, wie ein Schauder sein Herz berührte und seine Sinne in den Bann zog. Seit sechs Jahren betete und verweilte er in diesem Tempel, aber stets blieb das Nichtbegreifen.
    Anhetes floh mehr, als er ging, aus dem Tempel.
    Als sich die Pforte geschlossen hatte, lehnte er sich mit dem Rücken gegen das Metall, kreuzte die Arme über der Brust und atmete einige Male tief ein und aus. Die kalte Nachtluft fuhr schneidend in die Lungen und vertrieb den Weihrauchduft. Dann zuckte Anhetes zusammen und riß den Dolch hervor; nachts war Zokesh gefährlich. Neben ihm glitt eine Gestalt zwischen den Säulen hervor und blieb dicht neben ihm stehen.
    Eine wispernde Stimme fragte:
    »Anhetes, Priester und Baumeister?«
    »Ja. Wer bist du?«
    Ein schlanker Arm glitt aus dem Mantel; an dem Handgelenk schimmerte ein Reifen aus Edelmetall. Die Hand, mit einem großen Ring geschmückt, schlug die Kapuze des Umhangs zurück. Der Windstoß, der im gleichen Moment die Treppen herauffegte, ließ langes, hellbraunes Haar flattern.
    »Aus dem Palast – Prinzessin?« fragte Anhetes ungläubig.
    »Du rietest richtig. Beeha-ti, Schwester des dritten Prinzen. Du baust den Seelentempel meines Vaters?«
    Anhetes nickte und musterte die Prinzessin. Sie war nicht älter als zwanzig Jahre. Noch auf der Schwelle der Jugend, unberührt, aber nicht unerfahren. Ein feines Gesicht, in dem helle Augen glänzten – vermutlich blau, dachte Anhetes. Mit feinen grünen Linien in der Iris. Ein eigenwilliges Kinn und ein ebensolcher Mund, der eben eine Frage formulierte.
    »Du wirst die Arbeiten während des Begräbnisses überwachen?«
    »Ich werde«, sagte Anhetes kurz, »noch ist dein Vater nicht tot!«
    Er blickte an ihrem Gesicht vorbei hinunter auf den Vorplatz, wo die Wachen durch Kas Lieblingstiere abgelöst wurden. Man fing die schwarzen Panther am Morgen wieder ein. Sie zerrissen jeden, der sich nachts in den Tempelbezirk wagte. Noch führten die Priesterschüler die Tiere an den metallenen Halsbändern. Das Mädchen nickte.
    »Aber – ich habe eben einen Kaiadler gesehen«, sagte sie. Anhetes widersprach lächelnd.
    »Es war das Spruchtier der Göttin – ein weißer Raubgeier.«
    »Trotzdem. Sieh dorthin!«
    Beeha-tis Arm wies waagrecht über die Mauer der Tempelstadt. Weit über der Stadt, auf dem Hügel, unter dem viele untergegangene Kulturen ruhten, loderte auf der Palastterrasse das Feuer. Es symbolisierte Tot-meres' Kampf mit dem Leben. Winzige Gestalten schoben sich zwischen die beiden stummen Betrachter und die Flammen. Langsam erlosch das Feuer. Der Mond schien auf die weiße Dampfsäule, die sich schräg vom Wind treiben ließ.
    »Tot-meres hat seine Seele verloren. Der Kaiadler kam«, sagte Beeha-ti. Ihre Stimme war vor Aufregung

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