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TTB 100: Der Traum der Maschine

TTB 100: Der Traum der Maschine

Titel: TTB 100: Der Traum der Maschine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Kneifel
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mit der gewohnten Schnelligkeit. Außerdem wurde diese lebende Einheit beschäftigt.
    Losgelöst von sämtlichen Bindungen, die sonst ein Gehirn an den Körper seines Besitzers ketteten, sah dieser Geist Dinge, die von den Sinnen anderer Wesen erfaßt und an ihn weitergegeben wurden. Andererseits beschäftigte der Geist seinen Wirtskörper; ein Gastgeschenk ganz besonderer Art.
    Und so kam es, daß einige Wesen Gedanken dachten, für die weder sie noch ihre Umwelt reif genug gewesen waren – hätte nicht die Gorgoyne ihren lebensnotwendigen Spieltrieb unterhalten. Mit der Klarheit reiner Diamanten sah der Wirt des Geistes Dinge, die für die Umwelt noch mit dem dichten Nebel der Mystik umgeben waren.
    Die Energien der Gorgoyne tobten in fremden Körpern ...
     
    *
     
    Shechta trug vorsichtig das Kohlebecken, stellte es ab und verschwand wieder nach unten, um das Schreibgerät zu holen. Anhetes befestigte auf einem Steinsockel, in den Janhe ein tiefes Loch gebohrt hatte, ein seltsam aussehendes Gerät. Es bestand aus polierten Holzreifen, in denen verschieden lange Stäbe beweglich befestigt waren. In kleinen Bronzelagern ließen sich einzelne Teile des kugelförmigen Mechanismus drehen, bis sie mit den Stäben bestimmte und genaue Winkel bildeten. Nach einem halben Jahr voller Rechenarbeit hatte Anhetes den Sternenwinkel bauen lassen – drei Versuche waren mißglückt, ehe die Holzschnitzer des Tempels ein genaues Modell angefertigt hatten.
    Anhetes richtete die Achse eines Stabes auf den Stern, der genau senkrecht über dem Land strahlte und diesen Platz während der drei letzten Jahre nicht verlassen hatte. Ein Kreuz aus Fäden hielt den Stern im Schnittpunkt fest, während sich die anderen Stäbe verschoben und die Reifen drehten. Das gesamte Firmament bewegte sich um diesen Stern; Zeichnungen und Berechnungen mit Tusche auf bleichem Papyrus bewiesen es.
    »Bist du bereit, Shechta?« fragte Anhetes. Er saß auf einem Holzschemel und hatte sich in seinen weichen Mantel gehüllt.
    »Bereit, Herr – sprich!« sagte die heisere Stimme. Schon zu Lebzeiten von Anhetes' Vater war Shechta ein alternder Mann gewesen. Jetzt schien er eine Art unsterblicher Geist des Hauses zu sein. Shechta konnte rechnen und schreiben; Anhetes konnte sich keinen besseren Verwalter des Hauses vorstellen.
    »Lies die letzten Sätze vor, die wir geschrieben haben«, sagte Anhetes. Shechta las, langsam und mit schwingender, leiser Stimme.
    »Wie also gesehen ward am Beispiel der Holzkugeln in der Wasserschale, sind die Kräfte dieser Kugeln winzig klein. Sie ziehen sich gegenseitig nur langsam an. Vergleichen wir aber die Größe dieser Kügelchen mit den Felsen, dem Wasser, dem Sand und anderen schweren Dingen unserer Welt – um wieviel schwerer sind diese! Daraus schließe ich, daß die beiden Körper, der Mond Oneg und unsere Welt, um die er in den Nächten kreist, sich ebenfalls gegenseitig anziehen.«
    »Hörten wir hier gestern auf?« fragte Anhetes, ohne die Augen von den Sternen zu lassen.
    »Das schrieben wir, Herr«, sagte Shechta sanft und unwissend.
    »Nun – schreibe weiter«, sagte Anhetes.
    »Wir setzten also voraus, daß sich die Sterne drehen, der Mond, und auch die heiße Sonne Veega. Sie beschreiben in der Schwärze ringförmige Bahnen. Denken wir an die Holzkugeln im Wasser! Ist es ein verwegener Gedanke, daß sie sich umeinander drehen? Der leichtere Körper um den schwereren, der kleinere um den größeren? Oneg dreht sich um unsere Erde, diese wiederum dreht sich um Veega, und die Sonne dreht sich zusammen mit den anderen Sternen um einen Mittelpunkt, den wir nicht kennen und niemals erreichen werden ...«
    »Herr, im Land der vier Flüsse ist dies eine Botschaft, die noch nie verkündet wurde!« sagte Shechta flüsternd, nachdem er die Rohrfeder zurückgelegt hatte.
    »Sie wird verkündet, wenn Asor-meres-ti seinen Thron besteigt. Es wird die neue Naturlehre sein, die von den Priestern der Sternengöttin im ganzen Land gelehrt wird.«
    »Ich verstehe es – aber die anderen, Herr?« fragte Shechta leise.
    »Du verstehst es?« fragte Anhetes ungläubig. »Erkläre!«
    »Es geht vom Kleinen aus«, antwortete Shechta langsam und bedächtig. »Die Kräfte, die das Wasser des Dagrasdeltas jeden Tag zweimal heben und senken, sind auch weit über unseren Köpfen wirksam.«
    »Beim Kai«, sagte Anhetes, »deine Gedanken sind auf dem richtigen Weg!«
    »Ich hoffe, sie sind in den letzten Jahrzehnten oft genug die richtigen

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