TTB 104: 200 Millionen Jahre später
meine Lanze ergriff und sich damit umbrachte. Wer hätte den lebenshungrigen Ineznio jemals dessen für fähig gehalten?«
»Tot oder nicht tot, ich muß seinen Körper abliefern!« brüllte der Geächtetenführer. »Setzt euch in Marsch! Wir können hier keine Zeit mehr verschwenden.«
Das Stampfen schwerer, klauenbewehrter Pfoten ertönte; dann kam die Empfindung der Bewegung – langsam erst, um zügig in fließenden Trab überzugehen. Nach zehn Minuten dachte Holroyd bitter: Sie hätten wenigstens die Lanze aus seinem Körper ziehen können. Die Waffe begann ihm Sorgen zu bereiten. Es schien kaum glaublich, daß er den ganzen Vormittag lang mit solch einem soliden Schaft in der Brust herumreiten konnte. Die organische Struktur des Ptath-Körpers mußte radikal fremdartig sein.
Holroyd ließ sich langsam und schlaff vorwärtsgleiten, wie es eine Leiche auf dem bewegten Rücken des Reittieres wohl tun mochte. Es dauerte lange und erforderte ein außerordentlich sorgfältiges und behutsames Vorgehen, doch schließlich war es ihm gelungen, sich nach vorn zu beugen und das Ende der Lanze am unteren Teil des Grimbhalses abzustützen. Er begann augenblicklich dagegenzupressen. Ein jäher Schmerz durchzuckte sein Nervensystem, als die Lanze seinen Rücken durchstach und zum Vorschein kam. Aber er biß die Zähne aufeinander und drückte stärker. Es dauerte länger, als er geglaubt hatte. Das Fleisch war zäh, und er mußte immer wieder einen neuen Stützpunkt für das kürzer werdende Ende des Schaftes suchen. Doch schließlich lag er flach nach vorn auf dem Rücken des Tieres und fühlte den schwingenden Druck der Lanze, die über ihm wie ein Fahnenmast im Wind hin und her pendelte.
Holroyd überblickte seine Lage aus dem Augenwinkel. Auf jeder Seite ritt ein Geächteter; der zur Linken war so nahe, daß er ihn fast berührte. Wenn er sich gegen ihn rollen könnte ... Er versuchte es. Im selben Augenblick brummte eine Baßstimme unwillig, von der Lanzenspitze offensichtlich schmerzhaft getroffen.
»Oh, halt den Mund!« befahl eine andere Stimme. »Zieh die Lanze aus ihm heraus. Sie bringt die Leiche aus dem Gleichgewicht. Ich habe bemerkt, daß sie sich völlig durch sie hindurchgearbeitet hat.«
Das Gefühl des Gewichts endete. Holroyd lag reglos. Der Triumph über seinen Sieg ließ ihn fast übermütig werden. Heute nacht, dachte er wild, im Schutze der Dunkelheit und der vulkanischen Nebelschwaden! Wer würde schon eine Leiche bewachen?
Die Baßstimme ließ einen lauten Ruf der Überraschung hören; dann kamen rauhe Worte:
»He, Chef, schaut Euch das an! An der Lanze ist kein Blut. Irgend etwas stimmt nicht.«
Das war nicht übertrieben. Knapp eine Minute später hielt Holroyds Grimb an. Harte Hände packten ihn, zogen ihn herunter und tasteten seinen Körper ab. Dann sagte die Stimme des Anführers im Brustton stolzer Zufriedenheit:
»Keine Wunden. Ich habe mich schon gewundert, daß der Liebhaber der Göttin so sterblich sein sollte. Stellt Euch nicht länger tot, Prinz Ineznio.«
Ohne ein Wort kletterte Holroyd auf die Füße und stieg in den Sattel. Fast ohne Ausnahme waren die Geächteten große, breitschultrige Männer. Viele trugen Schnurrbärte oder Vollbärte. Doch wenn Holroyd von einer solch rauhen, ungehobelten Mannschaft spöttisches Gelächter über seine Niederlage erwartet hatte, sah er sich getäuscht. Niemand lachte. Viele Männer starrten ihn ausdruckslos an und blickten schnell weg, wenn er ihren Blick erwiderte. Die Rebellen verhielten sich ebenso, und das war beunruhigend. Die allgemeine Reaktion war befremdlich und unverständlich, bis er versuchte, sich zu vergegenwärtigen, was sie soeben gesehen hatten: Einen Mann mit einer Lanze in der Brust, der sich unverletzt und unternehmungslustig erhob.
Die lange Reiterkolonne setzte sich wieder in Bewegung und nahm Geschwindigkeit auf. Der Mittag kam und verging, ohne daß gerastet wurde. Durch den langen Nachmittag hindurch ritt die Schar durch das immer wilder werdende Hügelvorland.
Spät am Tag ritt Holroyd neben einem der Rebellenoffiziere, General Seyteil. Der Zufall hatte ihn an seine Seite geführt. Holroyd überlegte, daß die Kolonne bald den Fluß aus kochendem Schlamm erreichen mußte, den er nicht überqueren durfte. Ineznias Unfähigkeit, ihn auch nur geistig zu überschreiten, mußte etwas bedeuten. Sicherlich wäre seine Flußüberquerung für sie nicht unwichtig.
»General«, sagte Holroyd drängend, »angenommen, ich
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