TTB 104: 200 Millionen Jahre später
würde einen heiligen Eid schwören, daß ich zur nushirvanischen Front gekommen bin, um zu kämpfen und zu gewinnen – würde das einen Unterschied in Eurem Verhalten und dem der anderen bedeuten?«
»Nicht im geringsten«, kam die Erwiderung. »Prinz Ineznio ist eine Marionette der Göttin. Und was sie ist, wissen wir nur zu gut.«
»Angenommen«, fuhr Holroyd grimmig fort, »ich würde Euch erklären, daß ich nicht Ineznio bin? Daß ich in Wirklichkeit ... Ptath bin?«
Der Offizier wandte sich ihm zu und sah ihn forschend an. Endlich lachte er.
»Nicht dumm. Es stimmt nur eine Sache nicht damit. Niemand kann uns überzeugend beweisen, daß ein Wesen wie Ptath jemals gelebt hat.« Er brach ab. »Wir sind rasch vorangekommen. Dort vorn ist schon der Fluß aus kochendem Schlamm. Bei Dunkelheit werden wir in der Stadt Drei sein.«
Das Ganze verlief ebenso schnell, wie es gekommen war. Als sie sich der steinernen Brücke über den Schlammfluß näherten, verfielen die Grimbs in Schritt. Holroyd erhielt einen kurzen, flüchtigen Eindruck von brodelndem Schlamm, schwüler Hitze und unzähligen Dampfschwaden. Eine halbe Stunde später waren sie alle drüben. Die Reiterkolonne drang tiefer ins Land von Nushirvan ein.
16.
Die Nacht war bereits über Stadt Drei hereingebrochen, als Holroyd durch einen langen Marmorkorridor in den riesigen Saal geführt wurde, an dessen jenseitigem Ende ein Mann und zwei Frauen saßen.
Der Nushir von Nushirvan war ein großer, dicker, blauäugiger junger Mann. Die Thronsessel seiner Ehefrauen, kleiner als sein Thron, standen etwas zurückgesetzt, doch beide befanden sich zu seiner Rechten.
Als Holroyd in den Raum trat, neigten die beiden Frauen ihre Köpfe und flüsterten miteinander. Die eine war schlank und dunkelhaarig, die andere füllig und blond, und ihr Tun war dermaßen identisch, als ob sie die gleichen Gedanken dachten und in perfekter Übereinstimmung sprachen, daß Holroyds Aufmerksamkeit gefesselt wurde. Es bereitete ihm geradezu Mühe, sich innerlich davon loszureißen und auf die Tatsache zu konzentrieren, daß der Nushir zu sprechen begonnen hatte. Gleichzeitig wurde er gewahr, daß sich die Wachen jenseits geschlossener Türen zurückgezogen hatten.
Der dicke Mann sagte mit sanfter, etwas bebender Stimme: »Ihr seid wirklich Ineznio?«
Die verhaltene Spannung, die in seiner Stimme lag, war nicht zu überhören. Seine Augen glitzerten blau, mit einem Ausdruck, der Holroyd unwillkürlich zur Vorsicht gemahnte, als er nickte. Es bestand kein Zweifel daran, daß der durch Erbfolge bestimmte Geächtetenhäuptling eine bestimmte Absicht verfolgte, als er mit den Rebellen einen Pakt betreffs Ineznios Gefangennahme eingegangen war.
»Und Ihr habt die Leitung des Angriffs, der gegen mein Land unternommen wird?«
Plötzliches Verständnis der ganzen Situation durchdrang Holroyds Nervensystem. Er blickte den dicken Herrscher aus verengten Augen abwägend an, fasziniert von den Möglichkeiten, die sich abrupt boten. Wenn er es richtig anfing, konnte er in zehn Minuten ein freier Mann sein. Die zitternde Aufregung und Nervosität des Mannes wurde mit einemmal verständlich.
Die mattblauen Augen glitzerten in unschönem Eifer, und die großen, plumpen Hände öffneten und schlossen sich, als ob sie gierig nach einem sehnsüchtig erstrebten Objekt greifen wollten. Die Nasenflügel flatterten förmlich. Die gesamte physische Erscheinung des Herrschers verriet die Wahrheit. Der Nushir von Nushirvan hatte erfahren, daß er angegriffen werden sollte. Und obwohl bisher alle ähnlichen Invasionen fehlgeschlagen waren, wurde er angesichts der Gefahr in Angst und Schrecken gesetzt. Damit hatte Holroyd praktisch gewonnenes Spiel. Er holte tief Luft und sagte: »Wenn Eure Verteidigungsmaßnahmen die üblichen sind, habt Ihr keinen Grund zur Besorgnis.«
»Wie meint Ihr das?«
»Der Angriff«, entgegnete Holroyd kühl, »hat den Zweck, gewisse unzufriedene Elemente zu beruhigen. Es besteht nicht die Absicht, ihn bis zu einer Entscheidung durchzuführen. Dadurch, daß Ihr mich gefangengenommen habt, habt Ihr genau den Leuten in die Hände gespielt, die Eure Niederlage anstreben.«
»Er lügt.« Es war die dunkelhaarige Frau, die es mit dünner, schroffer Stimme sagte. Sie zupfte beschwörend am fetten Arm ihres Herrn und Meisters. »Er hat mit der Antwort zu lange gezögert, und überhaupt will mir seine Art nicht gefallen. Unterwirf ihn unverzüglich der Folter. Wir müssen
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