TTB 110: Im Reich der Dämonen
Simon. »Noch vor ein paar Jahren hätte ich es nicht gewagt, das auszusprechen.«
»Du meinst, damals war die Gemeinschaft noch vollkommen?« wollte Stead wissen.
Simon lächelte nachsichtig. »Man könnte es aus meiner Bemerkung folgern. Aber nein. Ich wollte damit sagen, daß die Gemeinschaft zwar nicht besser war als heute, daß sich aber niemand bemüßigt fühlte, die Dinge zu ändern. Die Menschen glaubten , daß sie in einer perfekten Gemeinschaft lebten. Erst seit kurzem beschäftigten wir uns mit den Grundfragen unserer Existenz. Den Anfang hat B. G. Wills gemacht, einer unserer größten Denker und Schriftsteller. Er geht davon aus, daß sich die Tiere – wohlgemerkt, nur die Tiere – dieser Welt allmählich entwickelt haben. Daraus folgert er, daß sich auch die Gemeinschaft entwickelt. Wenn wir also diese Gemeinschaft ändern könnten, könnten wir den Menschen selbst bessern.«
»Und was bedeutet B. G.?« fragte Stead. Die Buchstaben hatten komisch in seinen Ohren geklungen.
»Ach, das sind seine Privatnamen. Wir alle haben mehr als einen Namen. Das hier ist Della Hope und ich selbst heiße Simon Bonaventura. Aber das vergesse ich selbst bisweilen. Wills nennt aus irgendeinem Grund nur die Anfangsbuchstaben seines Namens. Ein kleiner Spleen vielleicht. Aber das hat nichts zu sagen. Er ist wirklich ein großer Mann.«
»Wenn wir also die Gemeinschaft, in der wir leben, ändern könnten, würden wir uns selbst ändern.« Stead dachte nach. »Klingt vernünftig«, meinte er schließlich.
»Es freut mich, daß du einer Meinung mit unseren großen Denkern bist.« Die kleine Spitze wurde durch das offene Lachen des alten Wissenschaftlers gemildert.
»Also, jetzt reicht es aber«, unterbrach sie Della entschieden. »Die Party soll in einer Stunde anfangen, und ihr beide seht immer noch aus, als hättet ihr ein Gefecht mit einem Schleimer gehabt.«
»Bei allen Dämonen, Mädchen«, donnerte Simon. »Was bedeutet schon eine Party, wenn sie mich davon abhält, Stead lebenswichtige Dinge beizubringen?«
»Da bist du auf dem Holzweg, mein lieber Simon. Eine Party zeigt Stead nämlich in einer halben Stunde mehr über den menschlichen Charakter als jahrelanger Unterricht.«
Simon brummelte verächtlich vor sich hin, ging aber doch gehorsam in seine Wohnung und machte sich fein.
Stead bewohnte nur ein paar kleine Räume – ein Schlafzimmer, ein Arbeits- und ein Wohnzimmer. Verglichen mit den Wohnungen der anderen Gouverneure war das wirklich eine armselige Behausung. Auch er zog sich um und bereitete sich auf das große Ereignis vor.
Offensichtlich war alles, was Rang und Namen besaß, hier aufgekreuzt, um der Abschiedsparty, die Simon für Stead gab, beizuwohnen.
»In Wirklichkeit tun sie dir einen großen Gefallen damit«, flüsterte Simon Stead zu, als sie die erdrückend volle Halle erreichten. Die Luft war zum Schneiden. Bewegungen, Farben, Düfte mischten sich wie in einem riesigen Kaleidoskop.
»Du mußt wissen – normalerweise haben Gouverneure keinerlei gesellschaftlichen Verkehr mit Wildbeutern. Aber du bist wie ein Gouverneur erzogen. Bis heute warst du einer von uns, und ich hoffe, daß du nach deiner Probezeit als Wildbeuter wieder zu uns gehören wirst.«
Stead nickte heftig. »Ich empfinde es als – als eine Schande, daß ich eure Gemeinschaft mit der der Wildbeuter vertauschen muß.«
»Wir auch.« Della war lächelnd zu ihnen getreten. »Kommt jetzt.«
5
Die Abschiedsparty für Stead fand unter dem strahlenden Glanz Tausender von Glühbirnen statt. Ein buntes Gemisch von Leuten verschiedensten Alters und Aussehens tat sich vor Steads Augen auf. Roben raschelten, Juwelen glitzerten, lachende, geschminkte Gesichter, dröhnende Musik aus einer Vielzahl von Wandlautsprechern. Aus kunstvoll geformten Springbrunnen ergoß sich Wein in Muschelbecken. Die Tische waren mit appetitlichen kleinen Leckerbissen überladen. Stimmengewirr, Gelächter, kleine, spitze Schreie, Liederfetzen – ein Bild ausgelassener Fröhlichkeit. Stead wurde es schwindlig.
Die elektrischen Heizkörper an den Wänden hüllten die Menschen mit Wärme ein. Die Leute von Arkon liebten die Wärme.
Ein seltsames Gefühl hatte sich Steads bemächtigt. Ein Gefühl, das er noch nie zuvor verspürt hatte, das aber Ähnlichkeit mit den Empfindungen aufwies, die er Della gegenüber hegte. Verlegenheit – so stand es im Lexikon. Aber weshalb sollte er sich verlegen fühlen, wenn all diese Leute gekommen waren, um
Weitere Kostenlose Bücher