TTB 110: Im Reich der Dämonen
ordentlich zu sitzen.« Nav sprach laut und temperamentvoll. Man merkte seiner Stimme noch den ehemaligen Redner an. »Ihr jungen Mädchen von heute. Aber daran ist nur dieser Wills schuld. Hat euch den Kopf mit seinem liberalen Unsinn vollgestopft.«
»Aber lieber Nav!« Della war über den Alten verärgert. Nicht einmal sie wußte genau, ob er im Ernst sprach oder nur Spaß machte. »Ich möchte, daß du Stead alles erklärst, was du weißt. Wenn er unter die Wildbeuter geht, hat er nicht mehr viel Zeit, sich mit geistigen Dingen zu beschäftigen.«
Und Stead hörte über eine Stunde gespannt zu, was ihm der Astromann zu sagen hatte/ während um sie herum die Party in vollem Gange war.
»Wir Astromannen sind die Hüter für den Fortschritt einer Rasse. Wir berechnen die Zukunft und lehren die Menschen den alten, wahren Glauben. Eine mühselige Beschäftigung, die all unsere Kraft erfordert.« Er lächelte ein wenig kläglich. »Dieser Wills, der zur Emanzipation aufrief – so legen es wenigstens die Jungen aus –, war ein Scharlatan. Aber es ist ihm gelungen, gewisse Dinge über den Haufen zu werfen. Die Religion scheint nicht mehr die gleiche Macht zu besitzen wie in meiner Jugend, als ich noch für meinen Beruf lernte. Und das ist bedauerlich. Della ist so ein nettes Mädchen, aber sie wäre noch netter, wenn sie ihre Religion ernster nähme.«
»Aber«, wandte Stead mit dem Eifer des Neulings ein, »wenn die alten Wahrheiten noch gelten – ich meine die Tatsache, daß der Unsterbliche die Welt der Gebäude geschaffen hat und den Menschen hier zwischen Tieren abgesetzt hat, die ihm zur Nahrung dienen – wenn das alles stimmt, weshalb zweifelt man dann daran?«
»Das kannst du am besten bei Wills nachlesen. Aber dein Feuer gefällt mir. Ich glaube, du hast das Zeug zu einem Astromannen-Lehrling – obwohl du körperlich natürlich schon ein wenig zu alt dazu bist. Ich habe nicht das Gefühl, daß du dich von Wills sehr beeinflussen läßt.«
»Ich – ich weiß nicht ... ich habe noch nicht darüber nachgedacht ...«
»Das kannst du immer noch nachholen, wenn du deine Pflichtzeit bei den Wildbeutern hinter dir hast. Das heißt, wenn dich die Dämonen in Ruhe lassen.«
»Wie bitte?«
»Was? Hat dir Della oder dieser andere komische Wissenschaftler – heißt er nicht Bonaventura? – nichts von den Dämonen gesagt?«
»Nein ...« Wieder durchströmte Stead das prickelnde Gefühl, daß sich ihm neue Welten öffneten. Unerwartet trat er immer wieder vom Schatten in einen hellen Lichtfleck der Aufklärung.
»Dämonen«, erklärte Astromann Nav, »wurden vom Feind des Unsterblichen in die Welt geschickt, um uns Mühsal und Leid zu bringen und uns zu versuchen. Die Dämonen sind die Feinde des Menschen, die abscheulichen Widersacher des Schöpfers. Wer die Dämonen überwindet, sichert sich einen Platz an der Seite des Unsterblichen.«
Stead versuchte, die neue Wissensflut zu verarbeiten. Dämonen? Nun, jeder schien das Wort zu kennen und als Schimpfwort oder Fluch zu benützen. Und nun meinte Nav, daß die Dämonen irgendwie in die Welt geschickt worden waren, um den Menschen zu prüfen, um eine Art Maßstab für die Güte des Menschen darzustellen. Das klang alles nach Theorie und Religion.
Della hatte etwas aufgeschnappt, als sie mit Simon vorbeiging. »Du hast also mit Stead über die Dämonen gesprochen. Habe ich recht, Nav?«
»Warum hast du mir nichts davon gesagt, Della? Habt ihr vielleicht über Dämonen gesprochen, als Simon und Cargill vor ein paar Tagen die Köpfe so zusammensteckten und tuschelten?«
Simon lachte. Ein herzhaftes, dröhnendes Lachen.
»Nein, Stead. Obwohl auch das für manche ein Dämon ist ...« Und dann sah Stead Della verwundert an. Simons Gesicht und Stimme, seine ganze Persönlichkeit änderte sich. Plötzlich wirkte der Wissenschaftler wie Cargill damals – Stead fühlte sich müde und gedemütigt. Wie sollte er es jemals verstehen, wenn es ihm niemand erklärte?
»Denk daran, daß du Wissenschaftler bist, Simon«, meinte Della. »Außerdem sind zwanzig Jahre Unterschied zuviel. Also, Stead, was ist mit den Dämonen?«
»Ich weiß selbst nicht so recht. Sie sind wohl eine Art Phantom, die die Menschheit heimsuchen und prüfen, ob unser Glaube echt ist und wir dem Unsterblichen treu dienen.«
»Das ist mehr oder weniger unser heutiger Glaube.« Simon nickte nachdenklich. Er hatte wieder den durchgeistigten Ausdruck, den Stead so an ihm schätzte. »Bei allem
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