TTB 110: Im Reich der Dämonen
sind jetzt in der Straße der Schneider. Sie nähen unsere Kleidungsstücke. Jedes Handwerk hat seine eigene Straße und steht unter der Aufsicht eines eigenen Straßengouverneurs. Sie alle tragen ein wenig dazu bei, den Wohlstand Arkons zu mehren.«
Aber Stead fand es schwierig, sich auf das Wirtschaftssystem von Arkon zu konzentrieren. Zu viele Eindrücke stürmten gleichzeitig auf ihn ein – die Arbeiter, die die verschiedensten Dinge herstellten; Karren, die die Waren verteilten; die großen Märkte mit ihren hellen Lichtern; das geschäftige Treiben der Händler; die Gerüche aus den Fabriken, wo die erbeuteten Rohstoffe verarbeitet wurden. Und immer wieder schweiften seine Gedanken in die Gebiete außerhalb der Gehege ab.
Die Enthüllung, daß es da draußen Tiere gab – den Schleimer, den er gesehen hatte, und Köter, die er sich ebenfalls als entsetzliche Ungeheuer vorstellte –, erregte und verwunderte ihn. Er wollte hinausgehen und immer mehr von dieser Welt erforschen, erfahren. Die Welt, in die er ohne seinen Willen geschleudert worden war, reizte ihn zu neuen Entdeckungen.
Und über allem lag – wie der Schleier, der angeblich die Außenwelt einhüllen sollte – ein unbestimmtes Verlangen, seine eigene Vergangenheit zu kennen. Er hatte es schon lange aufgegeben, aus seinem Verstand das Geheimnis seiner Persönlichkeit herauszuquälen.
Doch das lag jetzt alles in der Vergangenheit, in einer anderen Welt, in die er gar nicht zurückkehren wollte. Er stammte nicht von Arkon – das unsterbliche Wesen war ihm freundlich gesinnt und gab ihm eine zweite Chance, eine zweite Geburt. Er besaß jetzt das Privileg, zu den Leuten von Arkon zu gehören. Die Demut und Dankbarkeit, die er empfand, halfen ihm am besten über die Grübeleien hinweg.
Keine andere Rasse stand so sehr in der Gunst des Unsterblichen wie die Leute von Arkon. Daran glaubte Stead natürlich, fest.
Seine Ausbildung machte rasche Fortschritte. Della hatte ihm erklärt, sie werde mit ihm alle Lektionen durchnehmen, die die Kinder von Arkon im Laufe von sechs Jahren lernten.
Stead schaffte das Ganze in vier Monaten.
»Und jetzt sollst du einiges über das Leben erfahren.«
»Über euer Leben oder über das Leben überhaupt?«
»Alles der Reihe nach. Du vergißt, daß es außer uns noch Lebewesen wie die Schleimer gibt.«
»Nein – das vergesse ich bestimmt nicht. Ich muß sagen, Cargill hat uns das Leben gerettet.«
»Er hat nur seine Aufgabe erfüllt«, meinte Della leichthin. Aber Stead war nicht entgangen, mit welcher Wärme sie den Soldaten seit jenem Abenteuer behandelte. Auch duldete sie stillschweigend seine Gegenwart auf allen weiteren Streifzügen. »Er hat den Befehl, auf dich achtzugeben.«
Vier Monate, nachdem man ihn gefunden hatte, wurde Stead vor den Kapitän befohlen.
Trotz seines wachsenden Selbstvertrauens und trotz des Gefühls, seine neue Welt allmählich gut zu kennen, konnte er einen kurzen, ehrfürchtigen Schauer nicht unterdrücken. Immerhin – der Kapitän stand weit über gewöhnlichen Sterblichen, wie es die Gouverneure zum Beispiel waren. Della hatte ihm zwar geduldig zu erklären versucht, daß auch der Kapitän sterblich war. Aber ihr kühler rationaler Glaube kam gegen Steads Anschauung nicht auf. Irgendwie war er überzeugt, daß der Kapitän nicht dem gewöhnlichen Zerfall des menschlichen Körpers ausgesetzt war. Der Tod, wie er jetzt wußte, war eine häßliche, langwierige Angelegenheit. Nur die Menschen von Arkon, die ohne Tadel ihrem Reich gedient hatten, bildeten eine Ausnahme.
Die anderen hingegen – all die Völker anderer Reiche und Föderationen – waren vom Augenblick ihrer Geburt zum Untergang verurteilt. Nur die Menschen von Arkon konnten gerettet werden – wofür, konnte allerdings auch Della nicht sagen. »Für eine größere Welt mit größeren Gebäuden, wo man nicht mehr arbeiten und auf Beutezug gehen muß. So stellen sich es wenigstens die unteren Klassen vor.«
»Und ihr? Die Gouverneure?«
Sie krauste die Stirn und sah dabei reizender als je zuvor aus. »Einige der Gouverneure – zum Beispiel Simon – glauben überhaupt nichts mehr. Wer tot ist, ist tot – und sonst nichts. So sagen sie wenigstens.«
»Und recht haben sie.« Simon kam geschäftig wie immer hereingeschossen. Seinem runzeligen Gesicht sah man an, daß er wieder Neuigkeiten wußte. »Es ist ein sauberer, hygienischer Glaube. Wir nennen ihn wissenschaftlichen Rationalismus. Er wird endlich mit den
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