TTB 110: Im Reich der Dämonen
wie immer der stille, innerliche Glanz. Plötzlich fand er Belles braunes Zigeunergesicht schöner. Es verhieß Fröhlichkeit, Leben und die ganzen unbekannten Freuden, die in seinen Träumen existierten und die er noch nicht gekostet hatte. Was auch geschehen mochte, er war im Begriff, etwas Neues zu lernen.
Getragen von einem fröhlichen Tusch taumelten sie lachend durch einen kleinen Eingang. Hier wurden die elektrischen Lichter durch rosa Glasschalen gedämpft. Ein zarter Glanz hing über dem kleinen Zimmer mit dem weichen Diwan. Der Raum roch nach Parfüm und Geheimnissen – und Hunger.
»Ich brauche etwas zu trinken«, sagte Belle. Sie nahm ein Glas von dem niedrigen Tischchen, und Stead tat es ihr nach. Der Wein floß wie Feuer durch seine Adern. Belle sah ihn an. In dem rosigen Licht schienen ihre braunen Augen größer zu werden. Stead hatte ihr schwarzes Kleid für einen armseligen Lumpen neben Dellas schimmernder weißer Robe gehalten. Aber jetzt ... Wieder und heftiger als zuvor erkannte er, daß Frauen anders geformt waren als Männer.
Irgendwie durchfuhr ihn ein unbekannter Schmerz.
Belle verzog das Gesicht. »Magst du mich nicht, Stead?«
»Dich mögen? Natürlich – warum nicht?«
Sie lachte. Ein kurzes angespanntes Lachen. Sie hielt den Atem an.
»Nun, du zeigst es mir nicht.«
Stead fühlte sich hilflos. »Aber – aber ...«, stammelte er.
»Ich meine – ich habe doch nichts getan, was dich kränken könnte?«
»Das stimmt, du tugendhafter Liebhaber. Du hast nichts getan.«
Sie ging wiegend auf ihn zu, das Glas Wein in der einen Hand. Plötzlich legte sie die Arme um ihn und zog ihn mit festem Druck an sich.
Einen langen Augenblick stand. Stead völlig steif. Irgend etwas geschah. Er verwandelte sich – ein Gefühl durchpulste ihn – sein Blut raste – er wußte ... Was wußte er? Er wußte etwas . Er wußte, was er tun mußte. Er legte seine Arme um sie ...
Belle seufzte. Sie hob den Kopf und sah ihn an.
»Willst du mich nicht küssen, Stead?«
»Küssen? Was ist das, Belle?«
Sie stellte sich auf die Zehenspitzen. Sie bog seinen Kopf zu sich herunter.
»Das.«
Die Wandlung, die in ihm vorging, verwunderte ihn nicht. Es war die blendende Vision, die vor seinen Augen entstand, die ihn erschauern ließ.
Und dann zerrten Dellas Hände Belle weg. In ihrem Blick war Verachtung zu lesen.
»Du Närrin!« Della fauchte wie eine Katze. »Dafür könnte ich dich zu den Arbeitern stecken lassen, Belle!«
Belle fingerte an dem abgerissenen Band herum, das ihr lose von der Schulter hing. Ihre Haut sah in dem weichen Licht noch rosiger aus. Stead merkte, wie seine Gefühle für das Mädchen abebbten. Sie sah verstört, besiegt aus – wie die kleine Ratte von vorhin.
»Della – ich wollte ... es tut mir leid – er ist so männlich.«
»Ich weiß, was du wolltest, du kleine Schlampe ... Du bist Radioexpertin, aber keine Psychologin. Wenn du wüßtest, daß du bei Stead mit dem Feuer spielst! Meine ganze Arbeit ...« Della bemerkte plötzlich, daß Stead aufmerksam der Unterhaltung zuhörte. Er lernte.
»Wir sprechen uns noch, Belle. Stead, komm mit mir. Und vergiß das. Hast du gehört – vergiß das.« Dellas Bewegungen waren beherrscht, mechanisch. Sie verbarg ihr Zittern gut.
Belle saß mit unordentlichen Haaren und zerknittertem Kleid auf dem Diwan. »Du willst ihn nur für dich allein, Della. Glaube ja nicht, daß ich dich nicht durchschaue. Psychologie! Eine feine Psychologie, die du betreibst ...«
Della keuchte. Stead sah überrascht, daß sich ihr Oberkörper heftig hob und senkte. Sie drehte sich zornig um und ballte die Fäuste. Doch dann entspannte sie sich. Sie holte tief Atem.
»Denke, was du willst, Belle. Du tust mir leid. Aber die dreckigen, kleinen Gedanken in deinem Spatzenhirn sind falsch. Komm, Stead ...«
Sie packte ihn mit einem Griff, der sich von einem Männergriff nicht im geringsten unterschied. »Wir gehen nach Hause.«
6
Wildbeutergouverneur Wilkins preßte die vollen Lippen zusammen. Die schmalen Hände lagen ruhig auf den Papieren, die überall auf dem imposanten Schreibtisch verstreut waren. Wilkins war klein und geschniegelt. Das dunkle Haar klebte am Kopf, und er trug eine grüne Uniform – eine kokette Anspielung auf den Beruf des Jägers. Wilkins besaß eine eigene Wildbeuter-Gesellschaft und hatte es nicht mehr nötig, sich selbst in die Außenwelt zu begeben. Ein gelbes Halstuch, das er lässig um den Hals geknüpft hatte,
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