TTB 110: Im Reich der Dämonen
die ausweichenden Antworten enthüllt hatten.
Aber war das wirklich so wichtig? Die wichtigen Dinge des Lebens waren Essen, Trinken, Schlafen und Unterhaltung. Die wichtigen Dinge des Lebens waren auch die Beutezüge in die Außenwelt und die stolze Rückkehr mit vollen Säcken. Und sein allerwichtigstes Ziel war es, die Wissenschaft ganz in sich aufzunehmen, bis es keine Lücken mehr für ihn gab. Aber ... Aber das brachte ihn wieder zum Ausgangspunkt seiner Gedanken zurück.
Stead stolperte aus dem Seitenweg. Er mied die Tanzenden und versuchte seine Kameraden wiederzufinden.
Es war einfach alles zu viel für ihn. Er würde geduldig warten müssen, bis Della und Simon es an der Zeit fanden, ihm alles zu erklären. Alles andere war zu schwierig.
Und dann dachte er an die Dämonen und fand seinen Trost. Das wenigstens war ein Gebiet, auf dem er ihnen überlegen war.
Wenn es ihm auch nicht viel nützte.
Bis er sich zu den bekannten Straßen durchgeschlagen hatte, verging viel Zeit. Er kam an endlosen Reihen von Arbeiterhütten vorbei, und der armselige Abglanz des Festes in den Straßen hätte ihn mit Staunen und Sorge erfüllen müssen, wenn er nicht in seine eigenen Probleme versunken gewesen wäre. Diese Leute hatten nicht viel zum Feiern. Die Mühen des Tages, die Angst vor Krankheit, die nie endende Hoffnung auf ein bißchen Glück – einer extra Decke und einem Ofen – hatte sie ausgelaugt und vor der Zeit verbraucht.
Kein Wunder, daß sie sich nicht einmal beim Bacchanal richtig austobten.
Die Gefahren, die der Beruf mit sich brachte, machte dem Jäger und Wildbeuter das eigene Leben kostbar. Den Arbeitern war es zumeist gleichgültig, ob und wann der Tod kam. Im Gegenteil, nur zu oft wurde er als Erlösung von den irdischen Qualen angesehen.
Mit der Zeit verließ Stead das Schwindelgefühl. Seine Schritte wurden sicherer. Und als er Cardons düsteres Gesicht in der Menge auftauchen sah und Sims und Wallas schwankend auf ihn zustolperten, war er wieder ganz er selbst – oder besser, der Wildbeuter, zu dem er hier bei seinen Kameraden geworden war. Er rief seine Freunde durch den Lärm hindurch an.
Sie freuten sich ehrlich, ihn wiederzusehen.
»Hallo, Thorburn. Da ist Stead.«
Und: »He, Stead, Vance hat sich schon Sorgen gemacht ...«
Cardon sah ihn nur durchdringend an und nahm einen tiefen Schluck aus seinem Becher.
Sie drängten sich an der Ecke eines Bäckerladens zusammen, wo die vielen herumliegenden Tüten und Papiere deutliche Zeugen des lebhaften Geschäfts waren.
Hier, in der kleinen Insel des Menschenstroms, blieb Stead stehen und sah sich nach Honey und den anderen um. Dann mußte er einer närrischen Maske mit einem riesigen Papiermachékopf ausweichen, die grinsend und trompeteblasend auf ihn zukam. Er sah, wie Cardon sich dem quäkenden Riesen anschloß und mußte lachten, daß er selbst heute seine angespannte, düstere Miene nicht ablegen konnte. Mit vorgeschobenem Kinn bahnte er sich einen Weg durch die Menge.
Stead folgte lachend.
Was hatte damals Thorburn ganz nebenbei erwähnt? »Cardon verbirgt irgendeine schreckliche Sünde.« Sünden waren Taten oder Gedanken, die sich gegen die weisen Gesetze des Unsterblichen richteten. Das hatte er schon bei den Gouverneuren gelernt. Aber – wie Astromann Nav damals gesagt hatte – die geistige Beziehung der Wildbeuter zum Unsterblichen war oberflächlich geworden, zur Gewohnheit, über die man nicht mehr nachdachte. Das hatte ihn schockiert. Und so glaubte er auch nicht, daß das Wort Sünde in dieser Hinsicht gemeint war.
Sims und Wallas waren verschwunden, und Stead, der sich auf einer rosaroten Weinwolke fortbewegte, die seine schweren Gedanken verscheuchte, dachte nichts anderes, als daß Cardon versuchen würde, zur Gruppe zurückzufinden.
Erst als er sich schnell in eine Nische drückte, die zu einer steilen Wendeltreppe führte, und einen wachsamen Blick nach hinten warf, kam Stead der leise Verdacht, daß Cardon ein anderes Ziel im Auge hatte. Was mochte er wohl vorhaben? Der Mann duckte sich und lief blitzschnell eine Rampe aus gestampfter Erde hinunter. Sein Tarnumhang wirbelte um eine dunkle Ecke, und dann lag der Weg wieder frei und offen vor Stead. Stead folgte ihm.
Ein heiserer Ruf. Ein heftiger Schlag in seinem Nacken, der ihn zu Boden warf. Der sandige Geschmack von Erde. Ein Fuß, der in einer plumpen, viel zu großen Sandale steckte, dicht vor seinem Gesicht. Grobe Hände, die ihn umdrehten und eine
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