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TTB 117: Lichter des Grauens

TTB 117: Lichter des Grauens

Titel: TTB 117: Lichter des Grauens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Kneifel
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wurde – das ist die zweite Seite eines ungeschriebenen Gesetzbuches. Die erste lautete, daß man nur dadurch stark wird, daß man Schwächen besiegt – seine und andere. Eigentlich hätte sie es wissen müssen; sie wußte es auch, wollte aber die elementare Wahrheit nicht erkennen.
    Nachts war sie Noguera ausgeliefert, einer jeden seiner unberechenbaren Launen.
    Mitten über diesen Gedanken schlief sie ein. Zweitausend Meter flußabwärts kam eine Herde laughs zur Tränke; einige Tiere überquerten hinter dem Leithengst eine Furt und grasten am gegenüberliegenden Ufer weiter. Blinde Fische sprangen aus dem Wasser; der Spiegel des Stausees zerriß und bildete unzählige Ringe, in denen sich Mondlicht sichelförmig bewegte. Die Sterne schwangen sich, in der Bewegung des Spiralarms wie angefroren, über die Wüste. Wieder gellte der Pfiff einer ssfaira . Anjanet hörte nichts. Gegen Mitternacht wurde sie wach. Zitternd setzte sie sich auf. Sie wollte gleichzeitig fortrennen und auf Nogueras Nähe warten. Noch war es nicht zu spät; die Vernunft siegte. Obwohl ein gefürchtetes und doch ausschließliches Gefühl gleichzeitig mit dem Bewußtsein erwacht war, zog Anjanet sich hastig an und duckte sich in den Schatten der Blauoliven. Ihr Herz hämmerte wild.
    Der Pilot suchte sie. Er hatte wegen der warmen Nacht sein silbernes Hemd ausgezogen und trug nur die enganliegende Pilotenhose. Er ging schnell von den Wohnwagenstufen bis hinunter ans Wasser und blieb stehen, blickte nach beiden Richtungen. Er entschied sich, flußabwärts zu suchen und kam auf Anjanets Versteck zu.
    Sie drückte sich tiefer in den Schatten der Blauolive. Langsam und suchend kam der Mann näher; im Mondlicht konnte Anjanet seine Tränen schimmern sehen. Schließlich hielt Noguera an, als er das verlassene Lager sah. Er hockte sich auf die Fersen und tastete mit der Hand umher, dann sah er die Fußabdrücke, stand auf und kam nun gerade auf den Baum zu, hinter dem Anjanet stand. Wieder versuchte sie, zu fliehen. Sie rannte mit fliegenden Haaren zurück zum See, immer auf dem feuchten Sandstreifen zwischen Wasser und Wüste.
    Noguera setzte zu einem Spurt an und hatte sie innerhalb weniger Sekunden eingeholt. Mit einem einzigen Ruck riß sich Anjanet los, wirbelte herum und rannte. Eine Sekunde lang breitete sich ein ungläubiges Grinsen auf dem unrasierten Gesicht des Piloten aus, dann lachte er laut und holte sie wieder ein.
    Sie sträubte sich, schlug verzweifelt auf ihn ein, und er lachte. Erst, als ihn ihre kleine Faust schmerzhaft in den Solarplexus traf, hörte er auf, zu lachen und verzog das Gesicht. Übergangslos begann er zu weinen, umklammerte Anjanet und wimmerte »Nannie – trösten.«
    Sie vermochte sich nicht zu rühren. Er hatte ihre Oberarme in einem höllisch schmerzhaften Griff, der ihr die Tränen in die Augen trieb. Noguera legte seinen Kopf auf ihre Schulter. Das Gewicht des Mannes drohte sie umzuwerfen.
    »Hör auf!« sagte sie verzweifelt, dann, wild und unbeherrscht: »Laß mich los, du Scheusal!«
    Er wimmerte: »Trösten!«
    Er ließ sich einfach fallen, umklammerte ihre bloßen Knöchel und zuckte. Mitleid löste ihre Verzweiflung ab, und sie kauerte sich nieder, um ihn zu streicheln. Sein Schluchzen ließ nach und verebbte plötzlich. Er hatte seine Nannie wieder und fühlte aufatmend ihre Umrisse. Und wieder wurde Anjanet von ihrem eigenen Gefühl überwältigt; während die trockenen Finger des Mannes ihren Hals streichelten, fühlte sie, daß sie zu etwas gezwungen wurde, wogegen sie sich nicht wehren konnte – bald wollte sie sich auch nicht mehr wehren. Die bleiche Mondscheibe schien zu bersten.
    In ihrem einsamen Kampf gegen sich selbst und die Umstände kam Anjanet erst volle sechs Tage später darauf, daß sie Medikamente besaß und Röhrchen voller Barbiturate.
    Daraufhin mischte sie jeden Abend vier Tabletten in die Getränke des Piloten und schlief erschöpft und ohne jeden Zwischenfall. Aber andere Gedanken lösten die Furcht vor den nächtlichen Jagden, die stets gleich endeten, ab.
    Was würde Randall sagen, der sie abholte, in dreizehn Tagen, was war die Reaktion der Imperiumsbehörden? Gegen welches Gesetz hatte sie verstoßen, und wie hoch war die Strafe? Die Zweifel begannen sie zu quälen.
    Acht Tage, bevor Randall mit dem schweren Lastenhubschrauber landete, warf sie das letzte der leeren Röhrchen weg. Jetzt würde Noguera nachts wieder erwachen und sie jagen. So war es.
     
    *
     
    Die zweite

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